Kernige Schweizer und geleckte Brandenburger

Kürzlich habe ich wieder mal eine E-Mail von einer Bekannten erhalten. Das ist natürlich schön. Über den Inhalt möchte ich nicht sprechen, aber über die Form. Genauer: Die Sprache.

Die E-Mail war auf Schweizerdeutsch verfasst. Ich antwortete im hochdeutschen Standard. Sie antwortete schweizerdeutsch. Ich antwortete hochdeutsch. Sie schrieb wieder schweizerdeutsch. Ich dachte: He, das ist linguistisch interessant! Und fragte sie ein paar Sachen. Unter anderem: „schreibst du e-mails grösstenteils schweizerdeutsch oder hochdeutsch?“ Und sie… Weiterlesen

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Ein mysteriöses Hongkonger Virus?

Die Vogelgrippe ist längst in Europa angelangt. Wenn wir an das Virus denken, kommen uns tote Schwäne auf Rügen in den Sinn und allenfalls fürchten wir eine Absage der Fussball-WM. Damit scheint uns die Vogelgrippe doch bedrohlicher, als noch… Weiterlesen

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Fussball-WM: 1 zu 0 für die Schweiz?

Ich bin völlig Fussball-desinteressiert. Interessant fand ich aber folgende Meldung im Klein-Report:

An Fussball-WM muss Fussball ohne Eszett geschrieben werden

Schafft hier die Schweizer FIFA das, was die Rechtschreibreform nicht durchsetzen konnte? Doch der Reihe nach. Weiterlesen

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Verbotene Wörter

Das heutige Echo der Zeit sendete einen interessanten Beitrag von Philipp Scholkmann über die Probleme der Banlieues in Frankreich und den Versuch der Regierung, diese zu lösen.

Scholkmann berichtet von einer Diskussionsveranstaltung zum Thema, an der die Wissenschaft in Dialog mit der Bevölkerung tritt. Dabei zeigt sich, dass gewisse Tabus, die in Frankreich gelten, für eine kühle Analyse hinderlich sind. Hellhörig machte mich folgende Passage im Beitrag: Weiterlesen

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Die Schweiz und das Deutsche

Man liest wieder allenthalben und allenthalben von den Schwierigkeiten der Schweizerinnen und Schweizer mit der deutschen Sprache. Mathieu von Rohr beklagt im Magazin Nr. 6:

Fremdsprache Deutsch. Die Deutschschweizer entfremden sich vom Hochdeutschen und verkriechen sich im Dialekt. Helfen kann nur der Psychiater.
Das Magazin, Nr. 6, S. 14/15

In der Tat: Wahrscheinlich wurde noch nie so viel Schweizerdeutsch geschrieben wie heute. Weiterlesen

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Schweizer Platt

Wenn man sich in norddeutschen Gefielden aufhält, ist immer mal wieder die Rede vom Plattdeutschen, dem Niederdeutschen. Es ist sprachgeschichtlich gesehen die Grundlage des Englischen und vermählte sich durch einen komplizierten Prozess (Stichwort: 2. Lautverschiebung und anderes Pipapo) mit anderen mittelhochdeutschen Varietäten zum heute gebräuchlichen Hochdeutsch.

Im Norden gibt es das Plattdeutsche aber noch immer als Dialekt, auch wenn es immer mal wieder vom Aussterben bedroht ist. In einer Ausgabe der Lübecker Nachrichten, die ich im Zug fand, las ich dazu einen Artikel: „Ein neues Image für das Plattdeutsche“ (LN vom 22./23. Januar 2006, S. 36). Dort wird beschrieben, wer sich alles wie um den Erhalt kümmert.

Interessant fand ich das kleine Glossar, in dem im Norden gebräuchliche Wörter aufgelistet sind, die auf das Plattdeutsche zurück gehen. Da stehen Dinge wie:

Buddel: Flasche
Büdel: Beutel
Büx: Hose
Koje: Bett
Pott: Topf (wobei man hier als Hamburg-Gewöhnter anführen muss, dass dort unter Pott wohl öfter ein grosses Schiff gemeint ist…)
usw.

Natürlich gibt es da auch Wörter, die nicht nur die Nordlichter verwenden, sondern auch in südlicheren Gefielden üblich sind:

Gedöns: Aufhebens
Grips: Verstand
klönen: plaudern
Kuddelmuddel: Unordnung
Schnute: Schnauze, Mund

Doch stand da auch ein Wort, das ich als untertoggenburgischen Dialektausdruck kennenlernte: nölen.

„Nölen“ ist aber unzweifelhaft platt – und wird im LN-Glossar mit „nörgeln“ übersetzt. Im Grimmschen Wörterbuch findet man den Ausdruck auch. Es werden zwei Bedeutungen angegeben:

langsam sein im reden und thun.

Das ist die niederdeutsche Bedeutung, daneben:

oberd. im Unterinnthale nåln, nôln, eine unnütze arbeit thun, besonders wenn man dadurch von etwas anderem abgehalten wird.

Wahrscheinlich damit verwandt ist die ursprünglich schweizerische Bedeutung.

Aber eben: Heute wird darunter „nörgeln“ verstanden. Wir haben es hier also nicht nur mit einem Wandel der Wortform zu tun, sondern auch mit einem Bedeutungswandel, wobei unklar ist, ob das heute gebräuchliche „nölen“ ein Produkt aus ursprünglich verschiedenen Quellen ist – was sprachgeschichtlich gesehen natürlich keinesfalls überraschend wäre.

Wer kennt „nölen“ als ein Dialektwort? Wer weiss mehr? Nölt mal!

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Man liest sich gern

Eine besondere Lektüre war das: Letzten Donnerstag las ich in der NZZ im Protokoll der Sitzung des Zürcher Gemeinderats. Neben anderen Geschäften behandelte dieser die Frage, wie denn seine Sitzungen protokolliert werden sollten. Es lag ein Vorschlag auf dem Tisch, eine 50%-Stelle dafür zu schaffen: Es solle jemand eingestellt werden, der Tonaufzeichnungen der Sitzungen transkribiert, wie das im Berner Stadtparlament bereits erfolgreich gemacht würde.

Warum das alles? Weite Teile des Parlaments sind mit den bisherigen Protokollen nicht zufrieden. Es handelt sich dabei mehr oder weniger um Beschlussprotokolle, in der die schmucke Rhetorik der Reden zu wenig gewürdigt würde. Deshalb:

Christoph Hug gp. erläutert den Mehrheitsantrag zum Thema Protokollierung. Der Gemeinderat hat ein Protokoll, das man aber nicht wirklich als solches bezeichnen kann. Die politischen Diskussionen, die zu den Beschlüssen führen, fehlen dort. Wir schlagen ein substanzielles Protokoll vor. (…) Ich habe (…) das sogenannte Berner Modell studiert. (…) Die Ratssitzungen werden substanziell protokolliert. Während der Sitzung läuft ein Tonband. Die Voten werden danach mit Hilfe des Tonbands aufgeschrieben. Der Gesamtaufwand beträgt 50 Stellenprozente, die Arbeit wird von Studenten erledigt.
Aus dem Protokoll der NZZ vom 2. Februar 2006, S. 59

„Aber“, bin ich versucht den Debattierenden zuzurufen, „es gibt doch da nochwas! Das, was ich jetzt gerade lese! Das NZZ-Protokoll!“ Und da, sie haben mich erhört:

Balthasar Glättli (gp.) ist befremdet davon, dass es noch Ratsmitglieder gibt, die glauben, es handle sich bei den Verhandlungen des Rats um Peanuts. Das Protokoll zu machen, darf nicht Aufgabe der Medien sein. Es gibt zwar ein Mini-Protokoll der NZZ. Da fehlen manchmal aber Voten, es hat Fehler oder es sind nur die Sätze der Voten aufgeführt, welche der Journalist für wichtig hält.
Aus dem Protokoll der NZZ vom 2. Februar 2006, S. 59

Aha, zu freisinnig-parteiisch wohl ist das NZZ-Protokoll. Ob dieser Schmäh am NZZ-Protokoll wundere ich mich schon über die Gleichmut des NZZ-Protokollanten, der die Voten brav (und irgendwie ausführlicher als sonst, wie mir jetzt scheint) notiert. Erst später lese ich dann im Überblicksartikel zur Sitzung:

Immerhin gibt es aber eine Zeitung, deren Journalisten sich jeden Mittwochabend mit frisch gespitzten Ohren in den Ratsaal setzen. Am Donnerstag findet sich das eine Seite umfassende Resultat auf der Ratsprotokollseite im Zürich-Teil der NZZ – aber es sei hier offen eingestanden: Wir Journalisten sind weniger an den rhetorischen Rittbergern und den argumentativen Fechtkünsten der Ratsmitglieder interessiert, sondern an Fakten, Fakten, Fakten.
NZZ vom 2. Februar 2006, S. 55: Das Parlament im Originalklang

Der NZZ-Protokollant wollte vielleicht mit seinem Protokoll dieser speziellen Sitzung beweisen, dass die Unzufriedenheit des Gemeinderats mit seinen Redespuren in der Welt ungerechtfertigt sei. Doch wurde trotzdem von niemandem der Vorschlag gemacht, die eigene Protokollierung der Sitzungen gerade ganz wegzulassen und stattdessen der NZZ zu vertrauen. Findige FDPler hätten das doch als Public-Private-Partnership verkaufen können! Immerhin, ein Blick lesender SVPler nimmt die NZZ in Schutz:

Arthur Bernet (svp.) ist schockiert darüber, dass man die schnelle Berichterstattung der NZZ heruntermacht. Sie hat nicht die Qualität eines substanziellen Protokolls. Die Redaktoren der NZZ verdienen aber Dank und Anerkennung. Sie zeigen, dass sich Mundartvoten in NZZ-Deutsch übertragen lassen. Wenn ich im Rat einmal den „Blick“ lese und eine Debatte nicht so aufmerksam verfolge, kann ich diese am nächsten Tag in der NZZ meist nachvollziehen.
Aus dem Protokoll der NZZ vom 2. Februar 2006, S. 59

Nun denn, der Gemeinderat musste sich selbst helfen. Die „Luxusvariante“, Tonaufnahme und anschliessendes Transkribieren, hatte keine Chance. Stattdessen formulierte die SVP einen Kompromiss: Bloss die Tonaufzeichnung sollte reichen, die Verschriftlichung, deren Nutzer auch

Studierende, Forschende und die Medien
Aus dem Protokoll der NZZ vom 2. Februar 2006, S. 59

hätten sein können, sei zu teuer. Leider folgte der Rat diesem Vorschlag. „Leider“, da ich als Korpuslinguist natürlich zur zu gerne auf transkribierte und mit den Tonaufnahmen alignierte Sitzungsprotokolle (wenn möglich bitte nach GAT-Regeln*!) zurückgegriffen hätte! Tja, da bleibt uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wohl nichts anderes übrig, als die Forschungsetats vom Kanton erhöhen zu lassen, wenn wir das Transkribieren selber besorgen müssen…

* Für Nicht-LinguistInnen: „GAT“ steht für Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem. Es sind Regeln darüber, wie Gespräche transkribiert werden sollen, damit auch das Augenrollen der SPler während der Ausführungen des SVPlers oder der zischelnde Kommentar der FDPlerin an ihre Kollegin während der Rede des Ratspräsidenten mit den richtigen Betonungen erfasst werden kann.

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Grounding

Die Amerikaner nennen es Grounding. Was? Das da:

Mit seinen grafischen Mustern und charakteristischen Zeichen wie dem Kamel – Ethno light! – passt der Gabbeh perfekt zum reduzierten Einrichtungsstil, wie er sich in den 90er-Jahren herausgebildet hat. Lichte, eher sparsam moeblierte Raeume, die dem Credo „weniger ist mehr“ folgen. Doch der Raum, so haben auch Anhaenger des Kargen inzwischen erkannt, braucht ein klar definiertes Unten. Und der Mensch braucht eine weiche Insel, seis fuers Auge oder die Fuesse – eine Erdung eben. Die Amerikaner nennen es Grounding.
Tages-Anzeiger, 5. Februar 2000: Der „Perser“ macht sich wieder breit. Von Ulrike Hark, Savoir-vivre, Seite 63

Eineinhalb Jahre später sollte der Begriff eine neue Bedeutung erhalten. Noch zögerlich – die NZZ titelte am 3. Oktober 2001:

Die Swissair wird zum Albtraum. Einstellung des Flugbetriebs – Warten auf Bankenmittel

In diesem Artikel war von einem „Grounding“ keine Rede, nur in einem Artikel dazu im Wirtschaftsteil ist das erste Mal von „Grounding“ die Rede – in Anführungszeichen.

Und heute? In der Schweiz versteht unter „Grounding“ wohl niemand mehr die gesunde Erdung des Menschen. Das wäre doch eigentlich auch eine nette Bedeutung!

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Über die Befriedigung kommunikativer und anderer dringender menschlicher Bedürfnisse

Ich bin darin unerfahren: Mobil zu telefonieren. Ich versuchte es redlich – und scheiterte. Doch nicht ohne Interesse, selbstverständlich nur aus beruflichem, beobachte ich die Handybenutzung und die sich daraus ergebenden kommunikativen Phänomene.

Interessant finde ich, dass die (mobil-)kommunikativen Bedürfnisse unterdessen so grundlegend geworden zu sein scheinen, dass sie zu anderen menschlichen Bedürfnissen in Konkurrenz treten. Stichwort: Herrentoilette. An Piepsen und Klingeln dort habe ich mich gewöhnt. Doch wenn es dann auch aus einer Kabine spricht, bin ich jeweils immer etwas irritiert. Über ware feinmotorische Fertigkeiten verfügen aber jene, die das dringende menschliche mit dem kommunikativen Bedürfnis kombinierend am Pissoir stehend vollführen können!

Da war ich hier schlicht noch zu naiv. Und es gab Zeiten, wo man die Kravatte richtete und den Hut zog, wenn man sich telefonisch begrüsste…

Und es gibt Telefonkabinen, die so günstig stehen, dass man kommunikative und visuelle Bedürfnisse spielend unter einen Hut bringen kann. Zum Beispiel die Abgebildete.

Sie steht im Puschlav (Val Poschiavo) im kleinen Dorf Viano. Da kann es passieren, dass man vor lauter Staunen gar nicht mehr sprechen kann. Aber steht sie noch, die Kabine? Wer weiss es?

(Bild Copyright Noah Bubenhofer)

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Er sah sich gezwungen, die Notbremse einzuleiten

Die NZZ vermeldete heute die erfreuliche Tatsache, dass 2005 „keine Toten bei VBZ-Unfällen“ zu beklagen seien (NZZ vom 25. 1. 2006, S. 49). Für Unkundige: Verkehrsbetriebe Zürich. Trotzdem gab es im letzten Jahr 506 Verletzte, darunter die meisten VBZ-Fahrgäste, die

bei Nothalten zu Schaden [kamen], welche die Tramführer wegen drohender Kollisionen einleiten mussten.

Das bringt mich immer zum Schmunzeln. Nein, nicht die Verletzten, sondern das „Einleiten einer Notbremsung“.

Stellen wir uns das mal vor: Der Tram- oder Lokführer, die Tram- oder Lokführerin realisiert, dass eine Kollision droht und deshalb eine Notbremsung angebracht ist. Er oder sie muss nun diese Notbremsung einleiten. Das ist ein kompliziertes Verfahren: Eine 10-Punkte-Checkliste muss der Reihe nach abgearbeitet werden. Dann muss die Leitstelle über die bevorstehende Notbremsung informiert werden. Dann wird (zumindest im Zug) das weitere Zugspersonal über Lautsprecher vorgewarnt. Zu guter Letzt erfolgt die pflichtgemässe Warnung der Fahrgäste darüber, dass demnächst die Notbremsung wirken wird.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ein solches Verfahren stelle ich mir unter „Einleiten einer Notbremsung“ vor! Wenn wir uns die typischen Kookkurrenzpartner des Verbs „einleiten“ in der IDS Kookkurrenzdatenbank angucken, erhalten wir (gekürzt) folgende Liste:

(Staatsanwalt) leitet ein (strafrechtliches) Ermittlungsverfahren ein
(rechtliche/juristische) Schritte werden eingeleitet
Verfahren (zum Amtsenthebung) wird eingeleitet
ein Strafverfahren wurde eingeleitet
ein (förmliches) Disziplinarverfahren einleiten
eine (interne) Untersuchung einleiten
(entsprechende) Maßnahmen einleiten
usw.

Also alles doch eher langwierige Verfahren – etwas aus der Reihe tanzt da höchstens die (sofortige/grossangelegte) Suchaktion die eingeleitet wird. Unter „Notbremsung“ stellte ich mir aber immer etwas weniger langwieriges vor. Eher: Zack-Ratsch!

Irgendwie passt das Verb „einleiten“ doch nicht zu einer Notbremsung. Doch auch hier belehrt uns die Kookkurrenzdatenbank, dass „einleiten“ in Kombination mit „Notbremsung“ wirklich dem üblichsten Sprachgebrauch entspricht. Die einzige Alternative, die aber relativ selten verwendet wird, ist „auslösen“.

Ich finde: Die Notbremse braucht ein neues Wort! Ein dramatischeres, schnelleres Verb! Vorschläge?

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