Kernige Schweizer und geleckte Brandenburger

Kürzlich habe ich wieder mal eine E-Mail von einer Bekannten erhalten. Das ist natürlich schön. Über den Inhalt möchte ich nicht sprechen, aber über die Form. Genauer: Die Sprache.

Die E-Mail war auf Schweizerdeutsch verfasst. Ich antwortete im hochdeutschen Standard. Sie antwortete schweizerdeutsch. Ich antwortete hochdeutsch. Sie schrieb wieder schweizerdeutsch. Ich dachte: He, das ist linguistisch interessant! Und fragte sie ein paar Sachen. Unter anderem: „schreibst du e-mails grösstenteils schweizerdeutsch oder hochdeutsch?“ Und sie……schrieb:

jo, die meiste private emails schrieb i uf schwizerdütsch… halt so, wie’s mir grad in sinn chunt 🙂 i säg mol es sind öppä 70% vo mine private emails uf schwizerdütsch, chunt halt au immer chli druf a, wem is schriebe… lüt, wo i weniger guet kenn, denen schrieb i uf hochdütsch, oder halt immer, wenns „gschäftlich“ oder ä afrog betrifft… dä guete kollege, schrieb i uf schwizerdütsch…
(…)
vo dene mails wo i privat überchume, sind ungefähr 80% uf schwizerdütsch gschriebe…

Damit ist sie natürlich keine Ausnahme. Wie meine kleine Umfrage zeigen sollte, die am rechten Rand oben läuft. Doch die läuft noch nicht so ganz, deshalb jetzt der Befehl: Abstimmen! Bitte beantworten Sie die nebenstehende Frage nach Ihrem persönlichen Schweizerdeutsch-Gebrauch!

Danke.

Doch die Antwort oben von S. mach hellhörig. Warum schreiben so viele E-Mails und natürlich SMS in der Schweiz auf Schweizerdeutsch? Immerhin spricht man zwar in der Schweiz Schweizerdeutsch, schreibt normalerweise jedoch Standard.

Dazu ein kleiner historischer Exkurs. Im Jahre 1774 – in den deutschsprachigen Regionen Europas war ein erbitterter Streit darüber im Gange, wer das beste Deutsch spricht, das als Grundlage für ein standardisiertes Hochdeutsch verwendet werden soll – liest man in der „Deutschen Chronik“ die Eindrücke eines „reisenden Gelehrten“, die er von Zürich mitnahm:

Ich habe zu meinem Erstaunen auch große Bibliotheken bey Privatpersonen angetroffen, in der Stadt und auf dem Lande. Die französische Literatur ist beynahe bloß ein Eigenthum der Schmetterlingswelt. Männer lesen griechisch, englisch und deutsch. Letzteres schreiben sie so körnicht, so antik, daß ich Schweizerdeutsch noch immer dem französirenden Sachsendeutsch und der geleckten Brandenburgersprache vorziehe.
Deutsche Chronik, 1774, S. 219, zitiert nach: Joachim Scharloth: Sprachnormen und Mentalitäten. Sprachbewusstseinsgeschichte in Deutschland im Zeitraum von 1766-1785. Niemeyer: Tübingen, 2005. S. 2.

Diese Stimme soll dafür plädieren, die damals im Süden des deutschsprachigen Gebiets gebräuchlichen Sprachvarietäten zum Mass aller Dinge zu machen, denn diese seien die Sprachvarietäten, die von „richtigen Männern“ (im Gegensatz zu den flatterhaften, der letzten, französischen, Mode nacheifernden „Schmetterlingswelt“) gesprochen würde.

Französisch war damals im Norden beliebt, so dass damals alle die Fremdwörter ins Deutsche einflossen, die wir heute noch brauchen. Und der Unmut darob war im Süden gross, wie das obere Zitat andeutet. Ein Streit um kulturelle Identitäten: Deutschfranzose gegen Bodenständigkeit. Heute sind es die „Anglizismen“, die im Deutschen Stein des Anstosses sind (dazu ein andermal mehr).

Und 230 Jahre später? Die Renaissance des Schweizerdeutschen als emotionalere, nähere und kernigere Sprache gegen ein hochnäsiges Hochdeutsch? Kampf um kulturelle Identitäten oder ein schlichter Hochdeutschkomplex?

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Eine Antwort zu Kernige Schweizer und geleckte Brandenburger

  1. BH sagt:

    99% meiner privaten Mails und Beiträge in Blogs schreibe ich auf
    Standard-Deutsch, geschäftliche Mails sowieso. Hingegen bediene ich mich
    beim Internet-Chat mit privatem Charakter meiner Muttersprache
    Schweizerdeutsch.

    Ja, Schweizerdeutsch ist meine Muttersprache. Von deutschen Dialekten
    (Bayerisch, Badisch, Berlinerisch, Kölsch usw. usf.) unterscheidet es sich
    halt, dass sein Gebrauch in allen Lebensbereichen und allen sozialen
    Schichten üblich und keineswegs schlecht angesehen ist.

    „Schweizerisches Deutsch“ ist für mich die erste Fremdsprache, gegen die
    ich gar keine Aversion hege – eher das Gegenteil ist der Fall. Aber ich
    habe keine Mühe damit, dass man mir den Schweizer anhört (und manche
    Deutsche es für Schweizerdeutsch halten), den ich ja auch bin.
    Geschliffenes Deutsch bringe ich nicht hin, weil ich es nie für längere
    Zeit gehört habe und deshalb versuche ich auch gar nicht erst, solches zu
    sprechen – es würde nur lächerlich tönen.

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