Verbotene Wörter

Das heutige Echo der Zeit sendete einen interessanten Beitrag von Philipp Scholkmann über die Probleme der Banlieues in Frankreich und den Versuch der Regierung, diese zu lösen.

Scholkmann berichtet von einer Diskussionsveranstaltung zum Thema, an der die Wissenschaft in Dialog mit der Bevölkerung tritt. Dabei zeigt sich, dass gewisse Tabus, die in Frankreich gelten, für eine kühle Analyse hinderlich sind. Hellhörig machte mich folgende Passage im Beitrag:

Hat die Jugendrevolte im Herbst für die Wissenschaft etwas verändert? Vielleicht am ehesten, dass ihre Sprache härter geworden ist. (…) „Ghetto“. Muss nicht die Wissenschaft den Begriff vermeiden, warnt eine Zuhörerin, um nicht eine Realität herbeizureden, die es gar nicht gebe? Tatsächlich war der Begriff „Ghetto“ in Frankreich bisher tabu. (…) Der Soziologie François Dubet plädiert inzwischen entschieden dafür, die Dinge, wie er sagt, beim Namen zu nennen.
Philipp Scholkmann in „Kann die Regierung die Probleme der Banlieue lösen?“, Echo der Zeit, Mittwoch, 15. Februar 2006, 18.00-18.45 h, DRS1

In einer Nation von Liberté, Egalité und Fraternité dürfen sich die Bewohnerinnen und Bewohner nicht über ethnische, kulturelle oder religiöse Kriterien definieren. So darf es auch keine Ghettos geben, die genau das tun würden.

So weit die These, wobei diese alleine schon interessant ist: Kann verhindert werden, worüber nicht geredet werden darf? Wird Wirklichkeit dadurch erzeugt, dass man in einer bestimmten Art und Weise redet?

Doch wie steht es mit der Verwendung des Begriffs „Ghetto“ im Kontext der französischen Banlieues? In der Zeitungsdatenbank LexisNexis suchte ich nach Artikeln, in denen „Banlieue“ und/oder „Ghetto“ erscheint. Zudem differenzierte ich zwischen deutschsprachigen und französischsprachigen Zeitungen. Leider enthält die LexisNexis-Datenbank eine wichtige französische Tageszeitung, Le Monde, nur teilweise. Und in der deutschsprachigen Auswahl fehlt die Frankfurter Allgemeine. Trotzdem sind die Resultate interessant:

Die absoluten Zahlen wurden in dieser Grafik normalisiert: Die 1000 Treffer in französischsprachigen Zeitungen entsprechen im untersuchten Zeitraum 14’367 Treffer. Die 1000 Treffer in deutschsprachigen Zeitungen 786.

Die Verhältnisse sind klar: Nur in einem Bruchteil aller Artikel, in denen „Banlieue“ erscheint, wird gleichzeitig auch das Wort „Ghetto“ genannt. Im Vergleich dazu in gelb die Anzahl Treffer im gleichen Untersuchungszeitraum von Artikeln, in denen nur „Ghetto“, ohne „Banlieue“ auftritt.

Die Verhältnisse zwischen den deutsch- und französischsprachigen Zeitungen unterscheiden sich bezüglich der Nur-„Ghetto“-Artikel stark. Doch hängt das wahrscheinlich davon ab, dass im Deutschen weniger von „Banlieues“, dafür eher von „französischen Vororten“ etc. die Rede ist. Hier müsste man noch genauer suchen.

Doch vor allem die Resultate in den französischen Zeitungen widerspiegeln das im Echo-Beitrag formulierte Tabu. Wer weiss, wie sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten verändern werden: Die Verhältnisse in den Zeitungsartikeln – und in den Banlieues.

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Eine Antwort zu Verbotene Wörter

  1. Sprechtakel sagt:

    Je nach Medium heisst es heute in Zürich: Neonazi-Brandanschläge in Zürich mit dazugehöriger Bildstrecke: Schwamendingen brenntOder etwas nüchterner: In Zürich Nord brennen Autos und Briefkästen. Serie von Brandanschlägen“Züri brännt“ hiess es s

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