Arbeiten und „arbeiten“

Erst heute ist mir das Tagblatt der Stadt Zürich von gestern in die Hände gekommen. Und ehrlich gesagt war ich leicht geschockt über diesen Titel:

Der Artikel ist die Tagblatt-Variante dieser Meldung — aber da ging was schief:……Es gibt anscheinend eine Unterscheidung von arbeiten und „arbeiten“. Das ist völlig korrekt; die Anführungszeichen machen den Unterschied aus. Und sogar die Duden-Rechtschreibung macht auf den Unterschied aufmerksam. Neben den Grundfunktionen, wie Zitate oder Fachbegriffe hervorzuheben, nennt Paragraph 94:

Gelegentlich stehen Anführungszeichen auch zur ironischen Hervorhebung: Er hat „nur“ 2 Millionen auf dem Konto. Dieser „treue Freund“ verriet ihn als Erster.

So, die Ausländer arbeiten zwar mehr als die Schweizer, doch, naja, sie „arbeiten“ mehr. Plumper Verweis auf ein rassistisches Klischee? Lesen wir weiter. Es steht dann auch:

(…) Die Ausländerinnen und Ausländer sind anteilsmässig häufiger erwerbstätig als die einheimische Wohnbevölkerung. Sie arbeiten auch öfter Vollzeit und sind mehrheitlich als Unselbstständige tätig.

Hier also noch kein Unterschied zwischen arbeiten und „arbeiten“; doch hier:

Die 58 000 ausländischen Arbeitskräfte zeigen wesentliche Unterschiede beim Umfang ihrer Erwerbstätigkeit. Der Ausbildungsstand, das Geschlecht, das Alter und nicht zuletzt die Herkunft sind entscheidend für eine Teilnahme am Arbeitsmarkt. (…)

Es wird klar, worauf der Titelmacher/die Titelmacherin hinaus wollte: Im Schnitt arbeiten Ausländerinnen und Ausländer mehr, die Streuung der Beschäftigungsgrade ist jedoch sehr gross. Ein interessantes Detail. Aber dieser Titel könnte doch schon als rassistisch aufgefasst werden.

Ich hätte jetzt gern mit einer korpuslinguistischen Analyse gezeigt, wie Anführungszeichen ironisierend oder relativierend eingesetzt werden — ich glaube, es gibt da eine breite Palette an Funktionen –, doch auf die Schnelle ist das nicht ganz so einfach. Google erlaubt leider keine gezielte Suche nach Sonderzeichen, bleibt nur die Suchanfrage „in Anführungszeichen“, was zumindest das hier hervorbringt:

Diskussion in einem Forum über die Kinderfrage: Soll ein weiteres Geschwister her?

Schwoba-Papa: (…) Nein, wir sind uns über die „Nachteile“ sehr wohl bewußt und haben/müssen uns von unserem Ideal verabschieden. (…)

Worauf Protest geäussert wird:

mini99: Betreff: Re: Nachteile so ein Quatsch! (…) Wie, welche Nachteile bitte? Ich finde ein Geschwisterchen ist was wunderbares, und es etwas so schönes für euren Sohn, glaube mir, ich habe einen Bruder und eine Schwester! Und von welchem Ideal verabschieden bitte??? (…)

Und dann, explizit:

tinai: Betreff: Schmarrn, es gibt keine Nachteile auch nicht in Anführungszeichen

(Hervorhebung von mir.) Tja, es gibt eben Nachteile und „Nachteile“!

Leider eines von wenigen Beispielen, bei dem die Funktion der Anführungszeichen so thematisiert wird. Eine detailliertere Untersuchung — oder: „Untersuchung“ muss noch folgen. Doch vielleicht hat jemand ein schönes Beispiel aus der eigenen Sprechpraxis parat?

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6 Antworten zu Arbeiten und „arbeiten“

  1. BH sagt:

    Bekannt ist doch, dass die DDR in der Springer-Presse bis zum 1.8.1989 immer in Anführungszeichen erschien.

    Gemäss einer vom Deutschen Historischen Museum im Internet veröffentlichten Chronik wollte der 1985 verstorbene Axel Springer mit dieser Massnahme den provisorischen Charakter dieses Staates verdeutlichen. Falls diese Interpretation zutrifft, erscheint es komisch, dass Springer genau dann von diesem Symbol abrückte, als der „provisorische Charakter“ der DDR am deutlichsten zu Tage trat. Oder ging es vielleicht doch eher darum, das zweite „D“ (für „Demokratie“) – wohl nicht ganz unbegründet, wie ich zu sagen versucht bin – zu relativieren?

  2. Jaja, die „DDR“… Die Presse hat ja ein schönes Arsenal an orthographischen und grammatikalischen Mitteln, um Behauptungen als Fragen, Aussagen als Zitate oder Ernst als Ironie zu kaschieren. Fragezeichen, Pseudozitate etc.

    Interessant wäre eigentlich aufzuzeigen, wie ähnliches beim Radio oder beim Fernsehen funktioniert!

    Doch diese Beobachtungen sind nicht pressespezifisch. Wir machen das alle, täglich. Der Klassiker der Pragmatik, auf den ersten Blick eine einfache Feststellung: „Es zieht!“

  3. BH sagt:

    Hübsch finde ich auch die (gesprochene und geschriebene) Einleitung „böse Zungen behaupten“, nach der man dann alles Mögliche loswerden kann, immer schön (Pseudo-) Distanz wahrend.

  4. …oder die „gewöhnlich gut unterrichteten Quellen“, die aber zusätzlich noch in Anführungszeichen stehen können!
    http://www.heise.de/ct/00/22/016/

  5. BH sagt:

    Habe das mit dem „Es zieht!“ nicht ganz verstanden. Geht es einfach darum, dass mit diesem Satz eine Aufforderung verbunden ist? Das machen Frauen aber immer so… „Ich hätte jetzt Lust auf ein Joghurt.“

  6. Genau: In der Sprechtakttheorie geht man vom Konzept der „Illokution“ aus, die jedem Sprechakt innewohnt. Es handelt sich ungefähr um die Intention, die von Hörer und Sprecher hinein interpretiert werden. Bei „es zieht!“ ist die Illokution formal/orthographisch eine Feststellung (Aussagesatz). Der pragmatische Wert (also der Handlungswert) ist aber je nach Kontext eher eine Aufforderung oder ein Befehl. Ähnlich z.B. ein Sprechakt, der auf den ersten Blick als Frage daherkommt, das auf den zweiten Blick wohl aber selten ist: „Darf ich Sie bitten, meine Unterlagen wieder zurückzuschicken?“ Oder: „Warst du schon mal in Paris?“ – je nach Kontext nicht eine Frage, sondern das Zeichen, dass man jetzt über den eigenen Paris-Besuch erzählen möchte.

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