Die Inszenierung des Todes

Mir wird ja schon etwas mulmig, wenn ich sowas lese:

Obwohl ich es seit langem wusste, wurde ich von der Nachricht ihres herannahenden Todes emotional schlicht umgehauen. (…)

Ich habe sie nie gemocht. Wie oft habe ich mir gewünscht, in einem der Briefkästen des Hauses (…) möge nur ein einziges Mal eine Mausefalle drapiert sein, die ihr mal ordentlich die Finger klemmt wegen ihr permanenten Verletzung des Briefgeheimnisses.

Nun, da sie bald sterben wird, wird es sentimental und still in mir – denn sie wird mir fehlen – und wie. (…)

Kann das Futur von „sterben“, „sie wird sterben“, im Sinne einer kühlen Feststellung verwendet werden? Gut, verzweifelt die Hände der Patientin haltend, kann ich rufen „sie wird sterben!“, wobei da wohl immer noch der Wunsch nach einer Ausnahme inferiert wird („wenn nicht ein Wunder passiert!“, „wenn man ihr nicht endlich hilft!“). Aber so, im Sinne von: „Sie wird ja bald sterben, das ist wirklich schade…“, als ob ich vom nächsten Personalwechsel in der Finanzabteilung sprechen würde?

Doch, manchmal geht das:

Die gute Else Kling von der Lindenstrasse soll beerdigt werden – nicht die Schauspielerin, selbstverständlich, die Figur. Und das obige Zitat ist – leicht verfremdet – der Zuschauerpost entnommen. Beruhigend.

Oder doch nicht? Die Trennung von Realität und Fiktion ist bei TV-Serien so eine Sache. Ebenfalls in der Zuschauerpost zur Lindenstrasse ist folgender Ausschnitt zu lesen, der so beginnt:

Weiters möchte ich auch meinen Unmut über die Darstellerin der Urzula äußern:

Die Kritik scheint sich zunächst an der Darstellerin zu orientieren. Man vermutet vielleicht Kritik an einer mangelhaften schauspielerischen Leistung. Doch weit gefehlt:

Dieses ständige Gekreische und Gemeckere ihren Freund gegenüber ist unerträglich, wieso wehrt er sich eigentlich nie? Er hätte ja das realistische Argument bringen können, dass der Stalker Irina an jedem anderen Ort finden kann, wenn er sie in München auch gefunden hat und ihre Adresse, Tel.nr. usw. herausgefunden hat.

Es geht um die Figur; die Kritik richtet sich an die Figur der Geschichte – und damit eigentlich an die Drehbuchschreiber. Aber schuld ist trotzdem die „Darstellerin der Urzula“.

Doch diese Mischung zwischen Realität und Fiktion ist wahrscheinlich das, was den Zauber von Theater und Film ausmacht. So ist es zwar so, dass im Theaterrahmen

mit Peirce zu sprechen, genuine Indices in degenerierte Indices transformiert [werden], die als performative Gesten spezifische theatrale Funktionen übernehmen.
Uwe Wirth

Doch gleichzeitig verschwimmen die Grenzen. Auch die Realität wird inszeniert:

Unsere zeitgenössische Kultur lässt sich als eine Kultur der Inszenierung beschreiben oder auch als eine Inszenierung von Kultur.
Erika Fischer-Lichte: Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur. In: Wirth, Uwe (Hrsg.): Performanz. Suhrkamp: Frankfurt am Main, 2002. S. 292

Realität oder Fiktion? Ist doch Hans was Heiri…

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