Wir bedauern es sehr, uns entschuldigen zu müssen!

Ich bitte um Entschuldigung, dass dieser neue Eintrag so lange auf sich hat warten lassen. Die knappe Zeit hatte es nicht zugelassen, das Sprechtakel zu füttern; ich sah mich gezwungen, die Prioritäten anders zu setzen und wenn jemandem daraus Leid entstanden sein sollte, bedaure ich das sehr. Sorry.

Doch nun frisch ans Werk! Mit dem Entschuldigen ist das ja so eine Sache: …Das Grimm’sche Wörterbuch zitiert Schiller, der sich beklagte:

es kann dich nichts entschuldigen; es ist nicht zu entschuldigen. heute wird ‚entschuldigen sie!‘ excusez, wie verzeihen sie! pardonnez, erlauben sie! permettez, als blosze, nichtssagende höflichkeit in die rede eingeschaltet.

Als Sie das letzte Mal beim Aussteigen aus dem Tram diesen unmöglich im Wege stehenden Mann unsanft in die Rippen boxten, war für Sie das anschliessend geäusserte „Entschuldigung!“ wohl kaum mehr als eine Floskel. Oder hätten Sie erwartet, dass er darauf antwortete „Ja, die Entschuldigung ist angenommen!“?

Auch Politikerinnen und Politiker entschuldigen sich manchmal ganz leise, so z.B. der Schweizer Bundesrat Christoph Blocher, der in einer Rede statt von „angeklagten Albanern“ von „Kriminellen“ gesprochen hatte, was er zunächst standhaft bestritt, aufgrund der erdrückenden Beweislast einer Videoaufzeichnung jedoch sich zu diesem Schritt gezwungen fühlte:

Zur Aufregung um die Albisgüetlirede 2006

Medienmitteilungen, EJPD, 29.03.2006

Bern, 29.03.06. Statement von Bundesrat Christoph Blocher: «Es geht um eine kurze Passage in meiner Albisgüetlirede 2006. In der schriftlichen Fassung wurden zwei Albaner korrekterweise als schwerer Verbrechen Angeklagte bezeichnet. In der mündlichen Fassung habe ich an einer einzigen Stelle statt von mutmasslichen Kriminellen, von Kriminellen gesprochen. Das war ein Fehler, der mir leid tut. Es war ein sprachliches Versehen. Nie war es meine Absicht, die Albaner als verurteilte Kriminelle hinzustellen.»

Doch ist das eine Entschuldigung? Der Blick hat sie immerhin als solche angenommen:

Doch viel raffinierter machte das Lula da Silva: In einem Artikel der NZZ vom 13. August 2005 mit dem Titel ”Lula entschuldigt sich” wird der brasilianische Präsident folgendermassen zitiert:

”Ich schäme mich nicht, dem brasilianischen Volk zu sagen, dass wir uns entschuldigen müssen,
dass die Arbeiterpartei sich entschuldigen muss. Ich fühle mich betrogen durch inakzeptable Handlungsweisen, von denen ich nichts wusste.”

Der Präsident bezieht sich hier auf den ”Korruptionsskandal (…), der seine Partei und seine Regierung in eine Krise gestürzt hat”. Die Strategie ist klar: Eigentlich sind die anderen schuld. Und er, als Präsident, wurde dadurch auch noch betrogen.

In eine ähnliche Richtung zielt diese Entschuldigung hier:

BILD am SONNTAG-Chefredakteur bittet Oliver Kahn um Entschuldigung für Abdruck falsch datierter Fotos

20. Juli 2004

Claus Strunz, Chefredakteur von BILD am SONNTAG, bittet Oliver Kahn öffentlich um Entschuldigung für eine falsche Berichterstattung in der Ausgabe vom 18. Juli 2004. Ein Artikel unter der Überschrift „Erst Liebesnacht, dann Scheidungsschlacht“ basierte auf Agenturfotos, die Oliver Kahn beim Verlassen seiner Wohnung in München zeigen. Diese Fotos wurden der Zeitung mit falschen Zeit- und Datumsangaben angeboten. Trotz Quellenprüfung und vorliegender eidesstattlicher Versicherung des Fotografen, stellte sich jetzt heraus, dass BILD am SONNTAG mit dem Abdruck der Fotos offenbar einem vorsätzlichen Betrug aufgesessen ist. Gegen den betreffenden Fotografen wird deshalb Strafanzeige erstattet.

BILD am SONNTAG-Chefredakteur Claus Strunz: „Wir haben mit dem Abdruck der Fotos und der daraus resultierenden Berichterstattung in BILD am SONNTAG einen schweren Fehler gemacht, für den ich Oliver Kahn öffentlich und in aller Form um Entschuldigung bitte. Trotz intensiver Quellenprüfung sind wir Opfer eines Betrügers geworden. Der Leidtragende ist Oliver Kahn und dies bedauern wir sehr.“ (…)

Doch eine der häufigsten Strategien des politischen sich entschuldigen dürfte jene sein, die auch der Zürcher Stadtpräsident Ledergerber gewählt hatte. Im Zusammenhang mit den Einsprachen des umweltpolitischen VCS gegen einen Stadionneubau nannte Ledergerber in einem Fernsehinterview (Tagesschau SF DRS vom 25. Mai 2004) das Handeln des VCS als „Terrorismus“. Ungünstig in dieser Zeit. Nach einigen Querelen musste er sich dafür entschuldigen:

26. Mai 2004: Entschuldigung des Stadtpräsidenten

Sorry

Ich habe vergangenen Montag das Verhalten des VCS Zürich als Ökoterror bezeichnet. Selbstverständlich habe ich damit in keiner Weise einen Vergleich mit dem schrecklichen Terror angestellt, der heute viele Menschen bedroht. Das Wort Terror hat umgangssprachlich aber auch eine harmlosere Bedeutung. Man kann von jemandem sagen, er oder sie mache Terror und man meint damit, dass man von jemandem extrem genervt wird. Die Reaktion von vielen Menschen hat mir gezeigt, dass ich auch so verstanden wurde.

Sollte ich mit meiner zornigen Aussage aber jemanden verletzt oder vor den Kopf gestossen haben, so tut es mir aufrichtig leid.

Trotzdem und erst recht appelliere ich an alle Beteiligten doch bitte mitzuhelfen, dass das Stadion rechtzeitig für die EM gebaut werden kann. Zürich und die ganze Schweiz würde sonst einen unermesslichen Imageschaden erleiden. Der Zeitdruck ist nur darauf zurückzuführen, dass es dem Fussballverband gelungen ist, während der Stadionplanung die EM in die Schweiz zu holen und deshalb das Stadion 2007 fertig gestellt sein muss. Sonst könnten wir mit mehr Gelassenheit die Baufreigabe abwarten.

Elmar Ledergerber, Stadtpräsident

Nein, auch das ist keine Entschuldigung im engeren Sinn: Schuld sind halt jene, die das falsch verstanden haben. Gemeint war das so ja nicht…

Doch auch normale Leute entschuldigen sich hin und wieder ganz öffentlich, wie z.B. der Blogger „BoxHamster“ in einem Eintrag vom 8. März dieses Jahres:

Entschuldigung

So Ihr wundert euch bestimmt, warum der Blog auf einmal so leer ist, naja ich hab großen Mist gebaut,
ich hab bei einigen anderen Blogusern, Beiträge übernommen, und deren Namen noch nicht, einmal verlinkt, das war echt Scheisse, naja ich fang jetzt mal vorne an, hab alle Einträge gelöscht, auch die wenigen die ich selber verfasst habe, wenn ich in Zukunft Beiträge oder Infos von Irgendwelchen anderen Bloggern habe, dann frag ich vorher nach und verweise auf deren Seiten zurück. Ich hoffe Ihr nehmt meine Entschuldigung an.

MFG BoxHamster

Das möchte ich eine klassische Entschuldigung nennen! Da ist sich der Schreibende noch unsicher darüber, ob die Geschädigten seine Entschuldigung überhaupt annehmen. Doch das tun sie, wie die Kommentare dazu zeigen. Wenn sich alles so in Minne auflöst, dann kann sich entschuldigen geradezu Balsam für die Seele sein; doch in der Politik steckt hinter dem Entschuldigen wohl immer Kalkül, das auch das Grimm’sche Wörterbuch als erstes erwähnt:

ENTSCHULDIGUNG, f. excusatio: also der schalkhaftig mensch, wenn der gebosset hat, da sihest du das werk und erwischest in daran, und wenn du in gefangen hast, so verbirgt er es, macht so vil entschuldigung und wicklet es also in, das du nichts mer kanst reden. KEISERSBERG s. d. m. 13b; (…)

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Eine Antwort zu Wir bedauern es sehr, uns entschuldigen zu müssen!

  1. Sprechtakel sagt:

    Betrug ist, wenn das, was versprochen, nicht gehalten wird. Das dachten sich enttäusche Leserinnen und Leser des Buches „A Million Little Pieces“ von James Frey. Der Bestseller des Jahres 2005 in den USA erzählt die Geschichte eines geläuterten Drogens

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