Die Sache mit dem Kreuz

Wörter sind oft mehrdeutig – polysem, wie man in der Linguistik sagt. Das ist selten ein Problem, da Wörter nie isoliert, sondern immer in einem bestimmten Kontext auftauchen. Und dann ist meist auch klar, was damit gemeint ist. Insofern war auch die folgende Schlagzeile in der NZZ vom 9. März 2006 auf Seite 57 verständlich:

Unter Kreuzfahrern

Oder sie wurde zumindest verständlich, nachdem man den Rubrikentitel gelesen hat:

Tourismus

Und alle Zweifel wurden mit dem Untertitel ausgeräumt:

Persönliches Bekenntnis eines Schiffsreisen-Liebhabers: Es gibt sie noch, die Delikatessen auf hoher See

Doch ganz unproblematisch ist dieser Titel doch nicht,……wie folgender Leserbrief beweist, der ein paar Tage später erschien:

«Unter Kreuzfahrern»
«Kreuzfahrer» sind Leute, die an einem «Kreuzzug» teilnehmen, und das ist ein kriegerischer Feldzug gegen Andersgläubige, so wie ihn auch Präsident Bush gegen die «Terroristen» ausgerufen hat. Seither ist dieses Wort nur noch brisanter geworden. Also kann es in keiner Weise gebraucht werden für Leute, die an einer «Kreuzfahrt» teilnehmen (NZZ 9. 3. 06), einer bestimmten Art von Seereise kreuz und quer. Nicht einmal ironisch dürfte man es benützen.
Iso Baumer (Freiburg i. Ü.)
NZZ vom 13. März 2006, S. 11 („Briefe an die NZZ“)

In der Tat ist der Begriff „Kreuzfahrer“ nicht ganz so unproblematisch. Der Leserbriefschreiber behauptet eine schlicht andere Bedeutung, als sie im Kontext einer Kreuzfahrt angebracht wäre. Und interessant ist die Differenz zwischen „Kreuzfahrer“ und „Kreuzfahrt“. Da scheinen zwei gänzlich unterschiedliche semantische Felder dahinter zu stehen.

Wenn wir in einem grossen Korpus nach den statistisch signifikanten Kookkurrenzen (Wörter, die oft zusammen mit dem gesuchten Wort auftachen) dieser beiden Wörter schauen, erhalten wir folgendes Resultat:

Das klingt alles ziemlich kriegerisch. Irgendwo tauchen dann auch mal „hanseatic“ und der „Luxusliner“ auf, sowie „Schiffe“ und „Bord“, die wohl eher auf den touristischen Kreuzfahrt-Kontext verweisen.

Ganz im Gegensatz die Kreuzfahrt:

Da wird’s luxuriös. Wir erfahren, dass die meisten Kreuzfahrten anscheinend einwöchig sind, in der Karibik, im Mittelmeer bzw. der Ägäis stattfinden, wir lesen von Buchungen, Reedereien – und von Obelix. Weit weg sind christliche Kreuzfahrer, die die muslimische Welt bedrängen wollen.

Interessant ist auch ein Blick in die Zeitungen. Die LexisNexis-Datenbanken mit den wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen (kostenpflichtig) verzeichnet eine Reihe von Artikeln in der neusten Zeit, bei denen „Kreuzfahrer“ im Sinn von Touristen genannt werden:

Fast zehn Prozent mehr Passagiere auf hoher See
General-Anzeiger (Bonn) , 11. März 2006, Wirtschaft; S.3, 344 Wörter
… Tagen. Fast die Hälfte der Kreuzfahrer buchen aber für eine …

Die schwimmenden Hotels finden immer mehr Fans; Kreuzfahrten werden bei Deutschen beliebter
Stuttgarter Zeitung, 11. März 2006, WIRTSCHAFT; 16, 1012 Wörter, Drews, Eva
… sich am Durchschnittsalter der Kreuzfahrer ablesen: gut 48 …

usw. Natürlich gibt es auch die andere Bedeutung:

Bader: Vorfahren hatten Heilberuf
DIE WELT, 10. März 2006, WISSENSCHAFT; Was sagt der Name?; S.31, 447 Wörter, Hans Markus Thomsen
… Bibel, und die heimkehrenden Kreuzfahrer hatten sie eingeschleppt: Aussatz. …

El Kaida: Boykott deutscher Waren Al-Sawahiri auf Video
Berliner Zeitung , 6. März 2006, Politik; ; Pg. 05, 218 Wörter, DPA
… Staaten, die sich an der Kreuzfahrer-Kampagne gegen den …

…und einige mehr (eine statistische Auswertung kann ich in der Schnelle leider nicht liefern, aber „Kreuzfahrer“ in der letzten, kriegerischen Bedeutung scheinen die Überhand zu haben).

In der Tat ist das ein schwieriges Feld der Wortbenutzung. Doch ist auch klar, dass die Lesenden wohl nicht immer gleich sensibel sind bezüglich der Konnotationen eines Wortes. Momentan sind „Kreuzfahrer“ natürlich ein heisses Eisen – hoffen wir, dass wir sie irgendwann wieder primär mit dicken, reichen Touristen auf grossen, weissen (oder auch mal schwarzen – siehe Bild) Schiffen assoziieren, die ganz friedlich sind.

(Bild: Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 im August 2005 in Hamburg. Copyright Noah Bubenhofer
Screenshots Kookkurrenzlisten: Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, CCDB)

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Eine Antwort zu Die Sache mit dem Kreuz

  1. BH sagt:

    Interessant ist, dass selbst der Umweg über den anscheinend unverdächtigen „Touristen“ wieder zu einem verwandten Thema bzw. dem Umfeld „Gewalt“ führt: http://morgenpost.berlin1.de/content/2003/05/19/feuilleton/604834.html?redirID

    Man spricht ja häufig von sanftem Tourismus – da muss es ja auch „groben“ geben (was heisst da „muss“, es gibt ihn natürlich, den Tourismus, welcher über Leichen geht, zumindest über tote Korallenbänke). Kinder und Narren sagen die Wahrheit.

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