Der gespickte Braten spickt aus dem Ofen

Der heutige Blick-Titel verkündet ein tragisches Ereignis:

Zum Glück lesen wir weiter:

«Der tiefe Schnee hat ihm das Leben gerettet»

Es scheint also ein gutes Ende genommen zu haben – widmen wir uns also linguistischen Phänomenen. Nämlich dem spicken.

Der Duden meint zu diesem Verb:

1) spicken (Fleisch zum Braten mit Speckstreifen durchziehen)
2) spicken (Schülerspr. in der Schule abschreiben)

Der arme „Bub“ spickte aber nicht den Schnee mit sich selbst und hat die Anleitung zu seinem Flug auch nicht einem Spickzettel entnommen, sondern wurde anscheinend aus der Kabine geschleudert. Der Duden verschweigt also die dritte, in der Schweiz gebräuchliche Bedeutung von „spicken“. Doch wie schaut nun der Sprachgebrauch tatsächlich aus? Ist diese dritte Bedeutung auch in der Schweiz nur in der gesprochenen Sprache, dialektal, möglich? (Sonst müsste der Duden ja doch den Eintrag mit der dritten Bedeutung ergänzen, natürlich mit dem Vermerk in der Schweiz gebräuchlich.)

Zuerst der Gegentest. Ruth berichtet mir aus Deutschlands Norden von ihrer Blitzumfrage zum Blick-Titel:

Verstehen tun es alle nicht (Florian, Nina, Susanne, Angelika) – sie konnten sich alle keinen Reim auf den Text machen. Florian meinte, es wäre ein Druckfehler („spuckte“) und Nina meinte, es hätte vielleicht etwas mit rausschauen zu tun, wunderte sich aber, weshalb das dann auf der Frontseite des Blicks erwähnt wäre und Angelika tippte auf rauspinkeln… Spicken ist in erster Linie als Abschreiben bekannt und dann noch als Anreichern eines Bratens…

Fazit: Da man sogar beim Blick davon ausgeht, dass die Zeitung sinnvolle Texte verfasst, versucht man mit Fantasie eine Interpretation zu finden, die funktioniert. „Herausspicken“ oder „herumspicken“ ist also in Norddeutschland völlig unbekannt.

Wie sieht das denn die Neue Zürcher Zeitung? Dort drin ist immer mal wieder etwas gespickt, jedoch selten im Sinne des Blickzitats. Doch immerhin:

Sind die Tiere wirklich so gefaehrlich, wie man sagt? – Andre spickt den Stummel seiner Zigarette ins Wasser. „Vergiss alles, was Spielberg erzaehlt. Es stimmt nicht. Die Haie haben alles andere im Sinn, als dich anzugreifen. Es sind sehr aengstliche Tiere.“
Neue Zürcher Zeitung, 27. Februar 1999: Der Weisse Hai (5)

Oder:

Mit der Kadenz von einem Geschoss je Sekunde spickt der Automat die Kugeln in die Hoehe, die sich dann durch einen Wald von staehlernen Naegeln den Weg nach unten bahnen.
Neue Zürcher Zeitung, 3. Mai 1995: Exotisches in der einstigen Kabuki-Hochburg; Unterwegs in Tokios Stadtviertel Asakusa

Und:

Der Weissrusse ist auserwählt, etwas Spektakel zu machen, dann aber soll er verlieren. Alles verläuft nach Plan, zum traditionellen Termin im Berner Kursaal. Menasrias Fäuste trommeln. Der Kopf des Gegners spickt unkontrolliert hin und her, Bluttropfen am Boden, Schweiss spritzt. Dann ist es geschafft.
Neue Zürcher Zeitung, 27. Dezember 2005: Fische im Kopf

Nicht oft kommt das vor, aber immerhin.

Aber noch eines zeigt die Recherche: Der Duden ist unvollständig, wenn er „spicken“ in der ersten Bedeutung nur mit einem Braten in Verbindung bringt. Eine Cosmas-Recherche in den IDS-Korpora mit Kookkurrenzanalyse bringt folgende Wörter zutage, die normalerweise mit „spicken“ in Verbindung gebracht werden:

mit Anekdoten gespickt
mit (viel) Humor gespickt
das Buch ist (mit etwas) gespickt
etwas ist mit Namen gespickt
mit (zahlreichen) Beispielen gespickt
mit Pointen gespickt
mit Anspielungen gespickt
mit Stars gespickt
mit Witzen, Nationalspielern und Schwierigkeiten gespickt
usw.

Der Braten und der Speck folgen dann auch irgendwann – es scheint aber, dass im Sprachgebrauch vornehmlich anderes nicht mit Speck, sondern mit noch anderem gespickt ist.

Aber Lust hätte ich jetzt auf einen gespickten Braten durchaus! Mal sehen, was die Mensa heute so bietet…

(Danke an Ruth für den Blick-Hinweis und die Umfrage!)

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2 Antworten zu Der gespickte Braten spickt aus dem Ofen

  1. p.a.z. sagt:

    herrlich dämlich, danke!

    obwohl, Sie werden nicht drum herum kommen, sich mit den feinheiten der mund-art zu beschäftigen, lieber Herr Spektakel. spicken ist zum beispiel nicht das abschreiben per se, sondern auch das „flippen?“ des kleinen papierkügelchens (über ganze bankreihen hinweg), worauf man sich die lösungen zu der prüfung klein-fein+säuberlich mit gut gespitztem harten bleistift aufnotierte und dann eben.. spickte.

    spicken wird mit zwei fingern bewerkstelligt. zeigefinger (manchmal auch mittelfinger) und daumen. formen sie mit diesen zwei fingern ein o, führen sie den zeige- oder mittelfinger zum ersten glied des daumens (manchmal auch den das zweite glied ganz unten),
    geben sie spannung auf den finger, während sie ihn mit dem daumen sozusagen festhalten, und dann lassen sie ihn schnellen, den finger, und somit auch das kügelchen mit den resultaten des tests. bis hin zum sepp in der hintersten reihe, „wo“ das zeug dann im fall ganz gut gebrauchen kann, um jahre später nationalrat zu werden.

    mit freundlichen grüssen

    dorftrottel

  2. lyriost sagt:

    Aber paß auf, daß du ihn nicht wieder ausspUcken mußt, den Mensafraß.

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