Bundeskanzlerin in der Bärenhöhle

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel war heute auf Bärenjagd – oder nein, entschuldigung: Sie besuchte einen in seiner Höhle:

Merkel beim russischen Bären

vermeldete NZZ Online heute früh. Etwas später trägt die gleiche Meldung dann aber den Titel:

Merkel trifft Putin

Allerdings nur auf der Frontseite von NZZ Online. Verlinkt ist der Titel nach wie vor mit dem Bären-Text.

Doch etwas zu viel überstrapazierte russische Bärenmetaphorik? Die Metapher des starken russischen Bären ist wohl ein Dauerklischee der westlichen Welt. Doch schauen wir doch mal: Welcher russische Präsident wird am häufigsten mit einem russischen Bären umschrieben? Hier die Resultate einer Analyse deutschsprachiger Presseartikel seit ungefähr 1993:

Wenn man in Zeitungsartikeln nach „russisch(er/en/em) bär(en/s)“ sucht, findet man insgesamt 341 Artikeln, in denen diese Wortgruppe mindestens einmal vorkommt. Wenn man nun die Suche einschränkt, findet man 67 Artikel, in denen zusätzlich „Jelzin“ erscheint, nur 45, in denen Putin erscheint und in schmächtigen 20 Artikeln steht da „Gorbatschow“ neben dem russischen Bären. (Natürlich kann ich bei dieser Kurzanalyse nicht sagen, ob nun die Herren wirklich jeweils als russische Bären tituliert wurden, oder ob etwas anderes damit gemeint war.)

Vom „russischen Bären“ ist häufig auch in Wirtschaftskontexten die Rede – und bei Schmetterlingen (und Faltern aller Art). Das natürlich deswegen.

Und was lehrt uns die Geschichte? Man müsste jetzt das Körpergewicht und die (körperliche) Grösse der Herren mit den Anzahl Nennungen in Verbindung bringen und könnte dann zusammen mit einer psycholinguistischen Untersuchung von Zeitungsleserinnen und -lesern und einer komplizierten statistischen Kreuztabelle vielleicht zweifelsfrei einen signifikanten Zusammenhang zwischen Metaphernverwendung und bärenartigkeit herstellen und käme dann vielleicht zum Schluss, dass bei Jelzin der „russische Bär“ schon fast wörtlich gemeint sein könnte, bei Putin, und insbesondere bei Gorbatschow hingegen die Metapher einen überdurchschnittlichen Rezeptionsaufwand verursacht. Dies ist selbstverständlich keine politische Aussage.

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Eine Antwort zu Bundeskanzlerin in der Bärenhöhle

  1. Sprechtakel sagt:

    Beim Wühlen in grossen Korpora sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Man hangelt sich durch KWiC-Ansichten, Beleg- und Kollokationenlisten und findet kaum mehr raus.

    Manchmal ist es deshalb sinnvoll, Strukturen in Korpora zu visua

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