Die Wirkung der Worte

Wörter können ganz schön Wirkung entfalten. Sie können Wirklichkeit verändern. Denken wir an die klassischen Fälle: Die Taufe bewirkt, dass das Kind nachher wirklich Max heisst und das Schiff wirklich Queen Mary 2. Dazu ist ein Ritual nötig, bei dem die richtigen Personen die richtigen sprachlichen Formeln verwenden – et voilà, die Wörter wirken.

Dies ist der Kerngedanke der Pragmatik: Mit Sprache handeln wir. Mit Sprache verändern wir Wirklichkeit. Eigentlich ist das völlig trivial und es fallen einem wohl gleich hunderte von Beispielen ein, wo das so ist. Welche Tragweite das aber haben kann, zeigen zwei Beispiele:

Die Eingabe eines Suchwortes in Google (und in jede andere Suchmaschine selbstverständlich) kann von Dritten als kriminelle Handlung bewertet werden. Die US-Regierung möchte die Suchstatistiken von Google einsehen, um Pädophilen auf die Schliche zu kommen (vgl. Schockwellenreiter, Spiegel Online, Heise), bzw. allgemeiner das Verhalten von Internetnutzern zu analysieren. Was das juristisch bringt steht hier nicht zur Debatte, linguistisch interessant daran ist, dass die Eingabe eines Suchbegriffs natürlich als Wunsch des Suchenden interpretiert wird, das Gesuchte zu finden und anzusehen/zu lesen. Trivial? Naja, die Motivation des Korpuslinguisten, der sich beispielsweise für das Vorkommen von Begriffen im Web interessiert, ist ein völlig anderes!

Doch die Steigerungsform der Wirkung von Worten ist der nukleare Abschreckungskrieg. Der Kalte Krieg ist glücklicherweise vorbei, das Problem der angedrohten Verwendung von Nuklearwaffen aber noch lange nicht vom Tisch (dieser Tage: Chirac, Iran etc.). Bei der ganzen Tragik ist wiederum interessant, wie nukleare Abschreckung funktioniert: Land A droht mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, wenn Land B diese einsetzen sollte – und umgekehrt. Es handelt sich linguistisch gesehen um jeweils einen Sprechakt mit der Illokution „drohen“ (als „drohen“ soll der Sprechakt vom Gegner wahrgenommen werden) und der Perlokution (dem erhofften Resultat), das Angedrohte nicht tun zu müssen.

Damit die Drohung aber plausibel ist, müssen Atomwaffen

vorhanden und ihre Existenz muss allgemein bekannt sein. […] Zweitens muss auch die Option des Einsatzes von Atomwaffen glaubwürdig und plausibel sein. Das erfordert nicht nur Trägersysteme (Flugzeuge, Raketen), sondern auch politische und planerische Voraussetzungen, die zeigen, dass ein Kernwaffeneinsatz ernsthaft erwogen wird. […] Man muss den Einsatz von Atomwaffen wollen, um sie nicht einsetzen zu müssen.
(NZZ vom 13. Januar 2006, „Die Rolle von Kernwaffen im 21. Jahrhundert“ von Karl-Heinz Kamp, S. 7)

Das ist doch eigentlich ziemlich verrückt – der zitierte Artikel schlägt nicht etwa vor, Nuklearwaffen deshalb möglichst abzubauen, sondern hofft auf das „nukleare Tabu“, das sich aus dem skizzierten Dilemma ergebe.

Atomwaffenbesitz also nur als Folge gegenseitiger Sprechakte des Drohens? So grausam kann Sprechen sein.

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Eine Antwort zu Die Wirkung der Worte

  1. p.a.z. sagt:

    daher kommt wohl auch der ausdruck „etwas herbeizureden“?

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