Intelligenz von gestern: Auch digital

Es ist völlig faszinierend: Die Stadt- und Universitätsbibliothek Bern bietet seit kurzem 31 Jahrgänge des „Intelligenzblattes für die Stadt Bern“ zur kostenlosen Nutzung im Web an, wie die NZZ und auch der Bund berichteten. Das Blatt war im 19. Jahrhundert die wichtigste Lokalzeitung: Die Ausgaben zwischen 1834 bis 1865 sind nun digitalisiert (natürlich inkl. OCR Texterkennung), die weiteren Ausgaben bis 1888 folgen im Oktober 2006.

Über das Webinterface ist nun eine komfortable Volltextsuche möglich. Die Zeitungsseiten können direkt im Browser angesehen oder aber als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Natürlich ist ein solches Angebot auch für LinguistInnen sehr interessant. Ich verbrachte gleich Stunden mit Stöbern – und stiess z.B. auf eine nette Reklame gegen Haarausfall:


(Intelligenzblatt der Stadt Bern, Ausgabe vom 6. 4. 1858)

Oder man liest den Bericht über eine Aufführung im Stadttheater, bei der die Sängerin, Demoiselle Lemy, wegen ihrer dialektalen Aussprache auf ganz charmante Art getadelt wird:

Die ganze Rolle war übrigens sehr gewissenhaft einstudiert und der Gesang fand allgemeine Anerkennung. Sehr viel Fleiß muß Dem. Lemy noch auf dle Aussprache verwenden, daß nicht unangenehme Eigenthümlichkeitn ihres heimatlichen Dialekts zu stöhrend hervortreten.

(Intelligenzblatt der Stadt Bern vom 19. 12. 1838, S. 448)

Und erstaunt liest man ein zwar schreiendes Ausverkaufs-Inserat, das jedoch so anständig schreit, dass man sich als potenzieller Kunde richtig gebauchpinselt fühlt:


(Intelligenzblatt der Stadt Bern, Ausgabe vom 19. 4. 1855)

Man vergleiche das mal mit einem heutigen MediamarktSaturnTelecomXY-Inserat!

Kurz, eine wunderbare Sache. Als Korpuslinguist würde man sich jetzt nur noch weitere Formen der Textpräsentation wünschen. Z.B. KWiC-Ansichten der Fundstellen, Kookkurrenzanalysen und dergleichen. Und weiter würde man sich wünschen, dass die NZZ mit ihrem Archiv dereinst auch eine so einfach zugängliche Präsentationsform finden wird.

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