Iss den Teller leer, dann…

…gibt es morgen schönes Wetter! So würden wir den Satzanfang wohl ergänzen – und die aufgeklärten Leserinnen und Leser fragen sich, was denn das Wetter mit dem leeren Teller zu tun haben soll. Natürlich nichts, wie mein kompetentes Publikum wohl weiss: Offenbar ein Übersetzungsfehler aus dem Plattdeutschen „Et dien Töller leddig, dann givt dat morgen goods wedder.“ Das plattdeutsche „wedder“ heisst nicht „Wetter“, sondern „wieder“. Iss aus, dann gibts morgen wieder was Gutes!

So einfach und so klar. Aber was lehrt uns das Beispiel über Sprachgebrauch?

Wirklich interessant an der Sache ist nämlich nicht der Übersetzungsfehler (über den Radio Zürisee heute von mir Auskunft wollte), sondern Folgendes:

  1. Mit Sprache handeln wir: Wir erziehen mit Sprichwörtern (tja, der Ton macht die Musik, weisst du? Hopp, aus den Federn, Morgenstund hat Gold im Mund!) oder drohen (Lügen haben kurze Beine!). Wir beschwichtigen und trösten: Geld allein macht nicht glücklich, die Letzten werden die Ersten sein.
  2. In Sprachgebrauch ist kulturelles und gesellschaftliches Wissen codiert, aber auch Überzeugungen, Ideologien und Mentalitäten. Wo die Redensart „iss den Teller leer, dann ist morgen schönes Wetter“ verwendet wird, ist es offenbar kulturell angemessen, keine Reste auf dem Teller zu lassen. Das ist nicht überall so – ich erinnere mich an meinen Fauxpas in Osteuropa, als Gast schön brav auszutrinken und auszuessen – um zuzusehen, wie der Teller und das Glas wieder aufgefüllt wurden, obwohl ich genug hatte.
    Die Diskurs- und Kulturlinguistik erforscht dieses in Sprache codierte Wissen ganz systematisch.
  3. Im Sprachgebrauch – dem ewigen Sprachspiel (Wittgenstein) – sind Missverständnisse an der Tagesordnung – aber kein Problem. Kommunikation ist nicht einfach Sender – Kanal (Nachricht) – Empfänger, sondern weitaus komplexer: Ein laufendes Aushandeln von Bedeutung, bei dem zwar Leute irgendwelche Intentionen hegen, im Ergebnis jedoch ein unvorhersehbares Schlamassel entsteht. Ein Schlamassel allerdings, das Zeuge der laufenden Sprachhandelsprozesse ist. Wenn die plattdeutsche Redensart in der falschen Übersetzung ein kommunikatives Bedürfnis erfüllt, dann bewährt sie sich eben und bleibt erhalten.
    Interessant dabei: Wenn etwas sprachlich gut klingt, dann tendieren wir dazu, es auch für wahr und wichtig zu halten. Deshalb lieben wir Sprichwörter. Jedoch: Ein Reim ist noch kein Argument.

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