text_year: 2009; text_title: Zu Besuch in der winterlichen Cabane l'A Neuve. Wild, einfach und herzlich; text_author: Bernard van Dierendonck; (2009_de_315)
Wild , einfach und herzlich Zu Besuch in der winterlichen Cabane de l’A Neuve Es müssen nicht immer herausragende Gipfel sein : Wintertouren um die Cabane de l’A Neuve bieten vor allem dann viel Spektakel , wenn man sich auf eine Rundreise begibt . Im Schatten der grossen Nachbarhütten Orny , Saleina und Trient gelegen , bietet die Hütte selbst vor allem eins : Stille , Abgeschiedenheit und grenzenlose Gastfreundschaft . Das Fondue aux Tomates verteilt sich sämig und dampfend über die zuvor mit einer Gabel im Teller zerdrückten Kartoffeln . Diese Spezialität gibt es in der Cabane de l’A Neuve nur bei besonderen Gelegenheiten und auf Vorbestellung . Und für die Hüttenwartin Martine Gabioud ist dieser Abend ein spezieller : Es ist Anfang Mai , und dies bedeutet hier auf 2735 Metern das Ende der Wintersaison . Zur Feier des Tages hat die Hüttenwartin aus Orsières Tischsets mit Schweizer Wappen aufgelegt . An der südwestlichen Stirnseite des Tisches liegt das italienische Wappen . Die französische Fahne fehlt , sonst würde der Tisch zum Symbol für die Landesgrenzen um den schweizerischen Teil des Val Ferret . Die Cabane de l’A Neuve steht auf einem imposanten Felsvorsprung , 1100 Meter über diesem wilden und engen Tal im äussersten Südwesten der Schweiz . 5-Sterne-Gastfreundschaft Uns kommt dieses spezielle Fondue gerade recht . Der steile Hüttenanstieg und das – wider alle Prognosen – ausgesprochen triste Wetter an diesem Tag haben für einen gesunden Appetit gesorgt . Stunden zuvor , beim Loslaufen in La Fouly , prasselt Regen auf unsere Kapuzen . Einige Höhenmeter weiter oben schneit es feucht und schwer , und als Zugabe laufen wir durch dichten Nebel . Der bei guten Verhältnissen schon anspruchsvolle , steile Anstieg wird so zur echten Herausforderung . Nur gelegentlich führt uns eine alte Spur . Immerhin hat sich die Schneedecke so weit gesetzt , dass wir uns um die Lawinengefahr nicht allzu grossen Sorgen machen müssen . Karte , Höhenmesser und unser alpiner Riecher weisen den Weg über die steile Flanke und zum Nadelöhr : einem schmalen Durchschlupf zwischen gewaltigen Moränen . Nach drei Stunden hören wir plötzlich Stimmen durch den Nebel . Es sind die Hüttenwartin und ihr Ehemann GuyMichel 1 . Sie lotsen uns durch den letzten Steilhang zur Hüttenterrasse und reichen einen Willkommens-Thé des Glaciers . Während wir uns am knisternden Schwedenofen neben der jungen Hüttenkatze aufwärmen , zieht Guy- Michel die nassen Felle von unseren Ski und hängt sie zum Trocknen auf . Eine Geste , die wir in einer Hütte noch nie erlebt haben ! Eine Geste , die aber zum Eintrag im Hüttenbuch passt : Accueil , jamais vu çaHotel 5* ( unerreichte GastfreundschaftWie in einem 5-Sterne-Hotel ) . Eine andere Lobpreisung ist für uns hingegen nicht nachvollziehbar : Da wird von der schönsten Ecke der Welt , von einer Bergkulisse wie im Himalaya geschwärmt . Wir blicken bis zum Einnachten nur an eine Nebelwand . Die Hütte – Edouard Dufour sei Dank Die Cabane de l’A Neuve wurde in den 1920er-Jahren als letzte in dieser Region erbaut ; Jahre nach der Cabane d’Orny oder der benachbarten Cabane de Saleina . 1 Kurz vor dem Verfassen des Artikels erfuhr der Autor vom Tod des herzlichen und humorvollen GuyMichel Gabioud . Er verunfallte letzten Juni auf einer Velotour . Unser herzliches Beileid geht an die Ehefrau Martine Gabioud , an seine Familie und Freunde . Foto : Bernar d van Dier endonck Obwohl das steile Tal der l’A Neuve immer oben auf der Prioritätenliste der Hüttenbauer der Sektion Les Diablerets stand , nächtigten die Bergsteiger lange unter dem Pierre Javelle , einem riesigen Felsbrocken am Fuss einer Moräne . Erst eine grosse Geldsumme , die das Ehrenmitglied Edouard Dufour ( nicht zu verwechseln mit dem Kartografen Guillaume-Henri Dufour ) der Sektion vererbte , reaktivierte die Baupläne . Die Sektion schickte einen Erkundungstrupp los . Dieser durchstöberte die steilen Geröllflanken , entdeckte an einem potenziellen Standort auf 2300 Metern von einer Lawine umgeworfene Steinmänner . Diese hatten Mitglieder des Genfer Union des Montagnards erstellt . Auch sie wollten hier eine Hütte bauen . Doch die zerstörten Steinmänner und ein Loch in der Vereinskasse demo-ralisierten die Genfer . Auch die SAC-Forscher verliess schon fast der Mut . Nur eine kleine Gruppe Unentwegter gab nicht auf . Sie stiegen nochmals ein paar Hundert Meter höher , bis hinauf auf eine kleine Plattform auf der Spitze eines Felspfeilers . Ein lautes Hurra hallte durch das Tal . Der Platz schien sicher vor Lawinen . Trotzdem errichteten die Pioniere grosse Steinmänner . Als diese den ersten Winter überstanden , begannen sie mit dem Bau der Grundmauern . 1927 – zwei Jahre nach Baubeginn – konnten die Bergsteiger endlich ihr Nachtlager vom Biwak unter dem Felsbrocken in die neue Hütte verlegen . Ein kleines Zeitfenster Es funkeln die Sterne ! Martine Ga-biouds Weckruf ist kein Traum . Die Nebeldecke liegt tief im Tal . Die Hüttenwartin rät zum sofortigen Aufbruch , denn der Nebeldecke sei nicht zu trauen . Sie kommt gleich selber mit auf unsere Tour , und wir verschieben das Frühstück auf später . Die nun wieder trockenen Felle haften bestens auf den Laufflächen , und wir laufen in der Morgendämmerung los . Direkt gegenüber bläst ein kräftiger Wind den Schnee von den Kanten , Graten und Hängegletschern des imposanten Mont Dolent . Weiter oben folgt der frisch verschneite Gipfel des Tour Noir . Ein Berg , der wegen des häufigen Steinschlags nur noch selten von dieser Seite her bestiegen wird . Eigentlich schade : Die Kulisse ist gewaltig . Wir befinden uns am östlichen Ausläufer des Montblancmassivs . Hier zeigt sich das Gebirge von seiner besonders dramatischen , wilden und einsamen Seite . Unser Ziel ist der eigentliche Hausberg der Hütte , der Gipfel der 3509 Meter hohen Grande Lui . Er ist in dreieinhalb Stunden relativ einfach zu besteigen . Als uns aber beim Anseilen auf dem Glacier de Vor der imposanten Kulisse mit dem Mont Dolent verläuft die Route zur Grande Lui . Die Dreiländertour rund um den Mont Dolent ist hochalpin und abenteuerlich . Sie dauert vier bis fünf Tage . Infos gibt die Hüttenwartin gern . Die Cabane de l’A Neuve steht auf einem Felsvorsprung , 1100 Meter über dem Val Ferret . Der luftige Standort bietet eine phänomenale Aussicht – vorausgesetzt , die Nebelgrenze liegt tief genug . Fotos : Bernar d van Dier endonck Winterzeit – Hüttenzeit Mit herzlicher Gastfreundschaft den Wintertemperaturen trotzen : Das tun viele Hüttenwartinnen und Hüttenwarte . Ein Teil von ihnen präsentiert sich diesen Winter gemeinsam unter www.sac-cas.ch . Dazu stellt der SAC in der Broschüre sechs Winterhütten vor . Sie befinden sich gleichmässig über die Schweizer Alpen verteilt , einige sind sehr modern , andere bieten schon seit bald einem Jahrhundert Schutz und Behaglichkeit. l’A Neuve die ersten Sonnenstrahlen streifen , entdecken wir plötzlich Schleierwolken am tiefblauen Himmel . Sie jagen von Nordwesten her über unser Gipfelziel . Wir planen deshalb um und steuern einen schnell erreichbaren , namenlosen Nebengipfel an . Die Wolken der nahenden Front berühren bereits die Spitzen der Aiguille d’Argentière und Aiguilles Dorées . Martine erzählt , dass die eigentliche Skitou-renspezialität der Region nicht die Gipfel sind . Sie schwärmt von abwechslungsreichen Rundtouren und zeigt auf die verschiedenen Cols und Brèches , kleine Übergänge und Lücken , die man auf so einer Tour aneinanderreiht . Besonders abenteuerlich ist die Dreiländertour rund um den Mont Dolent . Noch einsamer ist die Runde von der Cabane de l’A Neuve hinüber zum Glacier de Saleina und wieder zurück zur l’A Neuve . Die Wolken verdichten sich , und auch der Nebel steigt bedrohlich in die Erinnerung an Robert Formaz , den langjährigen Hüttenwart der Cabane de l’A Neuve . In der Küche steht Hüttenwartin Martine Gabioud . Tomatenfondue , die Walliser Spezialität , wird in der Cabane de l’A Neuve auf Vorbestellung und zu besonderen Anlässen serviert . Bewartet ist die Hütte in der Skitourensaison jeweils durchgehend im März , im April und im Mai teilweise . LK 1:100 000 , reproduziert mit Bewilligung von swisstopo ( BA xxx ) Rund um den Mont Dolent in 4 bis 5 Tagen ( letzte Etappe ausserhalb der Karte ) Autour du Mont Dolent en 4 ou 5 jours ( la dernière etappe est hors de la carte ) 2 1 2 4 3 4 Rundtour Saleina Zustieg zur Cabane de l’A Neuve Grande Lui Rund um den Mont Dolent in 4 bis 5 Tagen ( letzte Etappe ausserhalb der Karte ) 1 2 3 4 Skitouren rund um die Cabane de l’A Neuve Höhe . Wir schwingen über die mit einer dünnen Pulverschicht bedeckte , kompakte Schneedecke . Kurz vor der Hütte tauchen wir wieder ein in das dichte Weiss des Nebels . Der in der Hütte wartende GuyMichel überlegt sich , ob er wieder in den Nebel hinausrufen soll , und wir ärgern uns , dass wir die Hütte von aussen nun immer noch nicht bei Tageslicht gesehen haben . Doch dann lichtet sich die Nebelwand plötzlich und gibt endlich den Blick frei auf die Cabane de l’A Neuve . Halb unter Schneemassen begraben , auf der Spitze ihres Felspfeilers trotzt sie der Wildnis . Eine fantastische Lage . Als sich die Nebelwand kurz darauf wieder schliesst , freuen wir uns auf die exponierte Geborgenheit und das reichhaltige Frühstück der 5-Sterne-Hütte . Tourentipps Hüttenzustieg Cabane de l’A Neuve ( 2735 m ) Eckdaten : 3½ Std. , 1100 Hm , WS+ , steilste Stelle 35° , Exposition Süd Route : Start in La Fouly , aber nicht den Sommerweg beim Camping nehmen , sondern links im Tal am Pierre du Loup vorbei . Erst bei der Brücke auf 2098 m berührt die Route kurz den Sommerweg , geht dann gleich wieder weiter links über steile Moränen zur Hütte . Kontakt : Tel. Hütte 027 783 24 24 , 28 Plätze Karten : swisstopo : LK 1 : 50 000 Blatt 282 S , LK 1 : 25 000 , Blätter 1344 , 1345 , 1365 , Frankreich : IGN , LK 1 : 25 000 , Nr. 3630 OT , Chamonix Literatur : Fabrizio Scanavino , Fritz Gansser , Willy Auf der Maur , Die schönsten Skitouren der Schweiz , SAC Verlag 2003 Grande Lui ( 3509,1 m ) Eckdaten : 3½ Std. , 770 Hm , ZS– , Exp. Süd Route : Cabane de l’A Neuve–Glacier de l’A Neuve–Col de la Grande Lui , Skidepot und zu Fuss zum Gipfel ( Ausweichziel : Gletschergipfel ( namenlos ) 300 m südwestlich Rundtour de Saleina Eckdaten : 5 Std. , 1300 Hm , ZS Route : Cabane de l’A Neuve–Col des Essettes–Col de Crête Sèche ( ohne Name auf der LK)–Col des Planereu-ses–Glacier de Saleina–Col de la Grande Lui–Cabane de l’A Neuve Tour du Mont Dolent Eckdaten : 4–5 Tage , 3500 Hm Aufstieg , S Route : Bergstation Aig. des Grands Montets ( F)–evtl . Cab. d’Argentière– Col du Chardonnet–Glacier de Salei-na–Col de la Grande Lui–Cabane de l’A Neuve–La Fouly–Petit Col Ferret– Biwak Fiorio CAAI ( I)–Mont Dolent– Entrèves ( I , Nacht)–Seilbahn Pte . Helbronner , dann Abfahrt durch das Vallée Blanche nach Montenvers , Chamonix a Bernard van Dierendonck , Zürich LK 1:100 000 , reproduziert mit Bewilligung von swisstopo ( BA xxx ) Rund um den Mont Dolent in 4 bis 5 Tagen ( letzte Etappe ausserhalb der Karte ) Autour du Mont Dolent en 4 ou 5 jours ( la dernière etappe est hors de la carte ) 2 1 2 4 3 4 Rundtour Saleina Zustieg zur Cabane de l’A Neuve Grande Lui Rund um den Mont Dolent in 4 bis 5 Tagen ( letzte Etappe ausserhalb der Karte ) 1 2 3 4 Skitouren rund um die Cabane de l’A Neuve Unterwegs zur Grande Lui . Wir ziehen eine Spur über den Glacier de l’A Neuve . Im Hintergrund die zackigen Pointes des Essettes . Foto : Bernard van Dierendonck LK 1 : 100 000 , repr oduzier t mit Bewilligung von swisstopo ( BA091648 )