Seminar »Soziale Probleme, Gewalt und Kriminalität« von Dr. D. Oberwittler, Sommersemester 1999, Universität Freiburg i. Brsg.

Städtebau und Kriminalität

Theorie und Praxis

 

Noah Bubenhofer
Studierender der Fächer Germanistik, Medienwissenschaften und Soziologie
4. Semester, Universitäten Basel und Freiburg i. Brsg.

Korrigierte und leicht erweiterte Version, Oktober 99


Inhaltsverzeichnis

  1. Zusammenfassung
  2. Vorwort
  3. Kriminalitätsfurcht
    1. Viktimisierungsperspektive
    2. Soziale-Kontroll-Perspektive
    3. Soziale-Problem-Perspektive
    4. Fazit
  4. Gewalt im öffentlichen Raum
    1. Definition
    2. Angsträume und Tatorte
    3. Räumliche Ursachen für Gewalt
    4. Gewaltprävention durch menschengerechte Planung
  5. Praktische Maßnahmen
    1. Stadtplanung
    2. Bauliche Maßnahmen
    3. Gestalterische Maßnahmen
  6. Fazit
  7. Literaturverzeichnis


1. Zusammenfassung

Um das Phänomen der Kriminalitätsfurcht zu erklären, sind drei Ansätze verbreitet: Die Viktimisierungsperspektive, die sich auf der personalen Ebene befindet, geht davon aus, dass die Kriminalitätsfurcht mit einer gravierenden individuellen oder auch indirekten Opfererfahrung zusammenhängt. Die Soziale-Kontroll-Perspektive auf der Mikroebene legt das Augenmerk auf den Zustand der sozialen Stabilität in der »Community«. »Social disorder« führt demnach zu einem Unsicherheitsgefühl. Die Soziale-Problem-Perspektive auf der Makroebene sieht in einer verzerrten Berichterstattung der Massenmedien den Grund für Kriminalitätsfurcht. Diese Theorien konnten empirisch jedoch nicht ihrem eigentlichen Sinn nach bewiesen werden.

Ein Vergleich von genannten Angsträumen mit Verbrechensstatistiken zeigt, dass oft keine Übereinstimmung von Angstraum und Tatort besteht. Entgegen der öffentlichen Meinung sind Unterführungen, Parks etc. nicht besonders gefährliche Orte. Die niedrigen Verbrechensquoten an solchen Orten können jedoch auch das Resultat des Vermeideverhaltens der potenziellen Opfer sein.

Inwiefern Städtebau Kriminalität beeinflussen kann, ist umstritten. Die Kriminalgeografie beobachtet jedoch allgemein eine größere Verbrechensquote in Stadtteilen, die City-Funktionen aufweisen. Die Gründe, die zu kriminellem Handeln führen, sind aber sehr vielfältig und umfassen auch demographische und soziale Komponenten.
Städtebau kann also so gestaltet werden, dass kriminelles Handeln mindestens nicht begünstigt wird. Dabei ist eine klare Identifikationsmöglichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner zum Raum nötig. Weiter muss die Stadt-typische Öffentlichkeit gepflegt werden.

Praktische Maßnahmen finden sich auf den Ebenen der Stadtplanung, des Baus und der Stadtgestaltung. Ihnen gemeinsam ist die Bemühung um Übersichtlichkeit, Transparenz, aber auch um Abtrennung von öffentlich und privat.


2. Vorwort

«Ich habe stets betont, dass die Orte stärker sind als die Personen; der Ort ist stärker als das Geschehen. Das ist die theoretische Grundlage nicht nur meiner, sondern der Architektur überhaupt.

Häufig (...) ist das Theater erloschen, und die Städte sind leer wie die grossen Theater. Es ist auch bewegend, wie jeder seinen eigenen kleinen Part lebt; am Ende werden der mittelmässige Schauspieler und die grossartige Schauspielerin den Lauf des Geschehens nicht verändern können.»

Aldo Rossi, Architekt

Der italienische Architekt Aldo Rossi scheint nach seiner obigen Aussage (Rossi, 1988: 92) von den Kräften der Architektur überzeugt zu sein. Es liegt nah, die urbanen Probleme auch durch die spezifischen baulichen Strukturen der Stadt zu erklären. Dass öde Wohnblockgegenden und verwahrloste, mit Müll übersähte Quartiere die dort lebenden Menschen negativ beeinflussen, ist intuitiv nachvollziehbar.

Andererseits machen vor allem soziologisch arbeitende Forscherinnen und Wissenschaftler auf das breite Spektrum an Einflussfaktoren auf das soziale Handeln aufmerksam: Die Demographische Zusammensetzung, Bildung, informelle Kontrollmöglichkeiten etc. würden genau so über die Gestalt der Gemeinschaft entscheiden.

Diese Arbeit versucht die Zusammenhänge zwischen Städtebau und Kriminalität aufzuzeigen. Dabei ist das Phänomen der Kriminalitätsfurcht zentral, da sie, neben der tatsächlich vorhandenen Kriminalität, ein wichtiger Grund für städtebauliche Bemühungen ein angenehmes Stadtleben zu ermöglichen, ist. Im ersten Teil werden deshalb drei verschiedene Erklärungsmodelle der Furcht vor einem Verbrechen unter die Lupe genommen.

In einem zweiten Teil werden die theoretischen Überlegungen zur Gewalt im öffentlichen Raum dargelegt und den Fragen ob und welche räumliche Phänomene Gewalt verursachen, nachgegangen.

Im dritten Teil schließlich werden konkrete Maßnahmen auf städteplanerischer, baulicher und gestalterischer Ebene vorgestellt, die Kriminalität wenn nicht verhindern, doch zumindest reduzieren können und den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern die Angst vor einem Verbrechen nehmen.

3. Kriminalitätsfurcht

Seit gut 40 Jahren interessiert sich die Wissenschaft vermehrt für die Gründe von Kriminalitätsfurcht in der Gesellschaft. Man fragt nach den Faktoren, die zu Angst vor einem Verbrechen führen: Sind es vor allem eigene Erfahrungen mit Gewalt, ist es ein nicht funktionierendes Gemeinwesen, das zu dieser Angst führt, oder wird die Furcht über Massenmedien geschürt? Diesen Leitlinien folgend entwickelten sich drei verschiedene Perspektiven zur Erklärung von Kriminalitätsfurcht (Boers 1993: 66). Diese Perspektiven können gleichzeitig der personalen Ebene, der Mikro- und der Makro-Ebene zugeordnet werden. Ein Schaubild soll dies demonstrieren:

personale, makro- und mikroebene

3.a Viktimisierungsperspektive

Grundidee der Viktimisierungsperspektive ist, dass die Kriminalitätsfurcht mit einer gravierenden individuellen Opferwerdung zusammenhängt. Diese Hypothese liegt verschiedenen Untersuchungen zu Grunde, die in den sechziger und siebziger Jahren entstanden sind.

Natürlich wurde die These ausgeweitet, indem auch indirekte Opfererfahrungen berücksichtigt wurden. Dazu zählen einerseits die Viktimisierungen von nahen Bekannten, andererseits aber auch über Medien vermittelte Nachrichten, die von Gewaltakten an unbekannten Menschen berichten.

Anhand von Querschnittsanalysen konnte die Viktimisierungsperspektive bislang nicht statistisch bestätigt werden (Boers 1993: 70). Jedoch konnte bei einer Panelanalyse, wobei in den USA 1738 Probanden in einem Abstand von 12 Monaten befragt wurden, zwar (praktisch) keine Beziehung zwischen Viktimisierung und Kriminalitätsfurcht (»worry about personal victimization«), jedoch ein stärkerer Zusammenhang mit einer kognitiven Kriminalitätseinstellung (»concern about personal crime«) festgestellt werden.

Diese kognitive Kriminalitätseinschätzung muss jedoch nicht zwangsläufig in Angst münden. Nach der kognitiven Angsttheorie von Lazarus (Boers 1993: 75) fungiert dieser »concern about personal crime« (persönliche Risikoeinschätzung) als Basis für eines der drei möglichen Szenarien:

  1. Das Individuum fühlt sich hilflos, ist der Überzeugung, die Bedrohung nicht bewältigen zu können und reagiert mit Angst.
  2. Das Individuum passt sich der Bedrohung an indem es flieht bzw. der Bedrohung ausweicht. Die Folge ist Furcht.
  3. Das Individuum setzt zur Gegenwehr an, die von Ärger über die Bedrohung begleitet ist.

So kann die These der Viktimisierungsperspektive nicht in der direkten Kausalität bestätigt werden.

Im Zusammenhang mit der Viktimisierungperspektive taucht auch noch das sog. Kriminalitäts-Furcht-Paradox auf: Häufig fürchten sich jene Menschen (Frauen und ältere Menschen) am meisten, die die niedrigste Viktimisierungsrate aufweisen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Frauen in Form von Sexualdelikten weit gravierenderen Bedrohungen ausgesetzt sind, die sie vielleicht als schlimmer einschätzen, als Männer potenzielle Bedrohungen sich gegenüber. Zudem ist diese Furcht auch mit der eher patriarchalischen und Alten-feindlichen Gesellschaft erklärbar: Mit der Emanzipation der Frau sinkt nämlich auch die Kriminalitätsfurcht unter den Frauen (Boers 1993: 71).

3.b Soziale-Kontroll-Perspektive

Die Soziale-Kontroll-Perspektive legt das Augenmerk auf den Zustand der sozialen Stabilität im unmittelbaren Nahbereich, der sog. »Community« (Boers 1993: 72). Damit lehnten sich die beiden Forscher Lewis und Salem, die ihre Theorie 1986 formulierten, an die Studien der Chicagoer Schule an.

Soziale Kontrolle, die die Mitglieder einer funktionierenden Gemeinschaft untereinander ausüben, verhindere Unsicherheitsgefühle. In einem Wohnviertel, das verfallen wirkt (die Autoren bezeichnen dies als »social disorder«) könne diese informelle Kontrolle nicht mehr wahrgenommen werden. Dieser soziale Zerfall wurde nach Vorschlägen von Lewis und Salem folgendermaßen operationalisiert:

Boers verweist auch hier auf einige Untersuchungen (Boers 1993: 73), welche die erwarteten Korrelationen nicht oder nur schwach aufzeigen konnten. Auch hier ist jedoch ein Zusammenhang zwischen »social disorder« und persönlicher Risikoeinschätzung beobachtbar.

3.c Soziale-Problem-Perspektive

Die Kriminalitätsfurcht beruhe nicht auf realer Bedrohung, sondern sei die Folge einer verzerrten und übertreibenden Berichterstattung in den Massenmedien, meinen die Anhängerinnen und Anhänger der Soziale-Problem-Perspektive. Die Gesellschaft klammere sich an das Thema »Kriminalität« um von den »wirklichen« sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, neue Armut und Umweltzerstörung abzulenken. Die Kriminalität wird zum »summary symbol« und lässt andere Probleme, die schwer zu lösen sind, undiskutiert und unbeachtet.

Wie Boers berichtet (Boers 1993: 73), musste in der Empirie bei dieser These eine Unterscheidung zwischen personaler und sozialer Kriminalitätseinstellung vorgenommen werden. Untersuchungen zeigten nämlich, dass kaum Korrelationen zwischen der Medienberichterstattung und der personalen Kriminalitätseinstellung (persönliche Risikoeinschätzung) beobachtbar waren, dafür starke Zusammenhänge zwischen einer überregionalen Medienberichterstattung und dem sozialen Kriminalitätsempfinden (gesellschaftliche Anschauung der Kriminalität).

3.d Fazit

Eine Grafik soll noch einmal verdeutlichen, welche Zusammenhänge empirisch nachgewiesen werden konnten.

empirische Zusammenhaenge

4. Gewalt im öffentlichen Raum

Inwiefern die Gestaltung des öffentlichen Raums die Kriminalität beeinflusst, ist umstritten. Forscherinnen und Forscher in den Sozialwissenschaften gehen normalerweise eher davon aus, dass Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist. Durchgesetzt hat sich trotzdem eine mittlere Position: Gesellschaftliche und räumliche Faktoren sind beide für Kriminalität verantwortlich.

4.a Definition

Der breite Bedeutungsfächer des Begriffs »Gewalt« muss für unsere Fragestellung eingeengt werden. Gemeinhin wird der Begriff folgendermassen aufgefächert (Hillmann, 1994: 293):

Definition Gewalt

Direkte Gewalt

vs.

Indirekte Gewalt

Individuelle Gewalt

vs.

Strukturelle Gewalt
(von ungerechten sozioökonomischen und politischen Verhältnissen ausgehende Zwänge)

Retardierende Ordnungsgewalt
(zum Schutz des Überkommenen)

vs.

Progressive Änderungsgewalt
(zur Erneuerung bzw. Verbesserung gesellschaftlicher Lebensverhältnisse)


In erster Linie meint »Gewalt im öffentlichen Raum« Strassenkriminalität. Es handelt sich dabei also um direkte, individuelle Gewalt. Etwas weiter gefasst (gerade im Zusammenhang mit durch Städtebau verursachter Gewalt) spielt auch strukturelle Gewalt eine Rolle.

Etwas schwieriger zu fassen sind jedoch Verhaltensweisen Dritter, die ebenfalls als gewalttätig, oder zumindest unangenehm, empfunden werden können. Z.B. herumlungernde Jugendliche, Alkoholiker und Drogensüchtige, sowie bettelnde Menschen. Sie sind bedeutende Faktoren für das Entstehen von Kriminalitätsfurcht, ohne dass sie strafrechtlich gesehen kriminelle Handlungen begehen müssten.

Die Frauen sind zudem von einem weiteren Phänomen betroffen: Die sexuelle Gewalt, die von der Anmache über Anpöbeleien bis zur Vergewaltigung führt. Dabei erfasst die Kriminalstatistik jeweils nur angezeigte Vergehen, wobei es sich meistens um Vergewaltigungen handelt. Besonders bei sexueller Gewalt muss jedoch mit einer grossen Dunkelziffer gerechnet werden (siehe z. B. BKA, 1998: 132). Und unangenehme Annäherungen an Frauen können zwar ebenfalls als Gewalt im öffentlichen Raum angesehen werden, besitzen aber in der Statistik nicht diesen Status.

Obwohl dies nicht ganz befriedigend ist, muss grundsätzlich mit folgender Definition für Gewalt gearbeitet werden: Gewalt als intentionale Ausübung physischen Zwangs durch eine Person gegenüber einer anderen Person (Eisner 1993: 12).

4.b Angsträume und Tatorte

Angsträume sind Orte, an denen sich Menschen unsicher fühlen. Klassische Angsträume (oder auch Unorte) sind z. B. Unterführungen, Bahnhöfe, Parkgaragen und Pärke. Oder es handelt sich um spezielle Quartiere und Gegenden, wo eine grosse Anzahl Personen Furcht vor Gewalt empfinden.

Vergleicht man die Statistiken der polizeilich erfassten Verbrechen mit den Hitlisten von Angsträumen, findet man meist wenige Übereinstimmungen.

Im Folgenden sind die Resultate einer Untersuchung aus Basel aufgelistet. Die 1995 durchgeführte Studie fragte nach den Angsträumen der Bewohnerinnen und Bewohner Basels.


Tagsüber unangenehme Orte

Keine 100
Unterführungen 90
Parkhäuser 50
best. Quartiere/Gegenden 30
Strassen 25
Pärke/Wald 15

Nachts unangenehme Orte

Unterführungen 155
Strassen 140
Pärke/Wald 90
Parkhäuser 80
best. Quartiere/Gegenden 80
Wege/Promenaden 50
Plätze 40
Haltestellen 40
Aleen 30
Rheinpromenade 20
Hauseingänge 20
Bahnhof 20


Zahlen: Anzahl Nennungen, gerundet und zusammengefasst. Gemäss einer Untersuchung in Basel, 1995: n = 360; 271 Frauen, 89 Männer (Baudep. Basel-Stadt: 152)

Zum Vergleich eine Grafik der Deliktorte nach Art des Deliktes. Die Daten wurden 1991 nach dem methodischen Vorgehen von Wikström und McClintock im Kanton Basel-Stadt erhoben, indem die polizeilichen Protokolle vercodet wurden (Eisner 1993: 102).

download Grafik

(64KB)

Daten aus: Eisner, 1993: 117. Körperverletzungen: n = 461, Raub und Entreissdiebstahl: n = 421, Sexuelle Gewalt: n = 159. Erhebungszeiträume: 1991, außer: Sexuelle Gewalt 1987-1991.

Während ein großer Teil der Bevölkerung z.B. Unterführungen und Parkhäusern als gefährlich einstuft, verzeichnet die Kriminalitätsstatistik nur wenige Verbrechen, die dort geschehen. Ähnlich steht es mit den Parks und Wäldern.

Umgekehrt werden jene Orte, an denen nach der obigen Kriminalstatistik die meisten Verbrechen geschehen, als wenig gefährlich eingestuft. Es sind dies z.B. die Kneipenviertel, Orte des öffentlichen Vergnügens, wo besonders viele Körperverletzungen zu verzeichnen sind, die wegen ihrer Belebtheit als ungefährlich betrachtet werden. Ebenfalls überraschend ist die Tatsache, dass die verzeichneten Fälle sexueller Gewalt hauptsächlich in einer Wohnung (auch der eigenen) statt fanden und nicht in Pärken, Unterführungen oder Parkhäusern.

Allerdings ist nicht ganz klar, inwiefern die niedrigen Verbrechensquoten an klassischen Angsträumen mit dem Vermeideverhalten der potenziellen Opfer zusammen hängen. Es ist klar, dass vor allem nachts Unterführungen und Pärke gemieden werden um gar nicht erst ein potenzielles Opfer zu werden.

So können in einer Stadt eigentliche Tag- und Nachtrouten der Passantinnen und Passanten festgestellt werden. Die folgende Grafik zeigt typische Tag- und Nachtrouten in der Basler Innenstadt.

Tag- und Nachtrouten

(Glatt/Osswald, 1998: 68) Es ist deutlich zu sehen, dass nachts (dunkle Punkte) die breiten, übersichtlichen Strassen den dunklen, engen Gassen vorgezogen werden.

4.c Räumliche Ursachen für Gewalt

Wie wir gesehen haben, gibt es anscheinend Orte, an denen sich kriminelle Handlungen häufen. Die Kriminalgeografie unterscheidet bei der Kriminalitätsdichte aber zwischen der Tatortdichte und der Täterwohnsitzdichte. Während die Tatortdichte die Anzahl von Tatorten in Relation zu einer bestimmten Fläche beschreibt, drückt die Täterwohnsitzdichte die Anzahl der Wohnsitze von Straftäterinnen und -täter auf einer bestimmten Fläche aus.

Untersuchungen zeigen, dass die Tatortdichte dort am größten ist, »wo sich bei hochgradiger Bevölkerungsentleerung die höchste Konzentration sogenannter ðCity-FunktionenÐ findet (Ladengeschäfte, Kinos, Restaurationsbetriebe etc.)«. (Herold 1979: Einleitung).

Andererseits ist die Täterwohnsitzdichte »dort am größten, wo die Überalterung des Wohngebietes deutlich über den Durchschnittswerten liegt oder aber in solchen Neubaugebieten, in denen City-Funktionen weit unter Durchschnittswerte absinken.« (Herold 1979: Einleitung)

Inwiefern soziales Handeln durch baulich-räumliche Strukturen beeinflusst, bzw. Kriminalität verhindert werden kann, ist unter den Sozialwissenschaftlerinnen und -schaftlern umstritten. Eine mittlere Position nennt verschiedene Faktoren, die zu kriminellen Handlungen führen können (Kube, 1982: 9ff):

Mensch

Umfeld

  • hochgradiger Sozialisationsdefekte und Mehrebenenkonflikte
  • mangelhafte soziale und räumliche Bindung
  • isoliertes oder beengtes Leben
  • niedriger sozio-ökonomischer Status des Raumes
  • Vorhandensein von Minderheiten/Randgruppen
  • hoher Anteil männlicher Minderjähriger
  • große Belegungsdichte von Wohnungen und Gefühl des Beengt-Seins
  • Nähe zu Wohnbereichen mit hohem Straftäteranteil
  • schwache informelle soziale und formelle Kontrolle
  • zahlreiche Tatanreize und -gelegenheiten im Wohnquartier oder im Mobilitätsbereich

Zusammenfassung von Faktoren nach Edwin Kube und Harries.

Es werden also weniger explizit bauliche, sondern eher demographische und soziale Faktoren als Gründe für Kriminalität genannt. Trotzdem rückt damit die gesamte Umgebung des Menschen ins Blickfeld: Bauliche Maßnahmen können informelle Kontrolle begünstigen und raffinierte Architektur Gefühle des Beengt-Seins verhindern.

Tatorte in Basel: Überprüfung der Theorie

Die Kantons-Polizei Basel-Stadt führt eine Statistik der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte geordnet nach Postleitzahlen. So lässt sich die oben geäusserte Theorie, wo hauptsächlich Tatorte zu finden sind, überprüfen.

Toetungsdelikte nach Postleitzahlen

Anzahl versuchter und vollendeter Tötungsdelikte, 1991 - 98 im Kanton Basel-Stadt. Quelle: Kriminalpolizeiliche Analysestelle Kantons-Polizei Basel-Stadt

Nach den theoretischen Überlegungen müssten demnach dort am meisten Delikte auftreten, wo die Stadt die grössten City-Funktionen enthält. Das Untere und Obere Kleinbasel, sowie das Gundeldingerquartier weisen die höchsten Raten von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten auf.

Die Humangeographische Abteilung der Universität Basel teilte die Stadt in folgende Typen ein (Schneider-Sliwa et al., 1999: 52):

  • Typ 1: »Gentrifizierte« Altstadt - Hier leben nach der Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung vorwiegend junge, gut ausgebildete und besser verdienende Schweizerinnen und Schweizer, häufig in Einpersonenhaushalten.
  • Typ 2: Heterogen zusammengesetzte Viertel - Viele Einpersonenhaushalte, ansonsten heterogene Zusammensetzung.
  • Typ 3: Industriell/gewerblich geprägte Viertel
  • Typ 4: Viertel des gehobenen Mittelstandes
  • Typ 5: Viertel mit hohem Familienanteil

Die drei Quartiere mit den höchsten Tötungsdelikts-Raten werden nach obiger Typisierung den Typen 2 und 3 zugewiesen. Auch das St. Johann-Quartier, das an vierter Stelle steht, ist ein industriell und gewerblich geprägtes Viertel (Typ 3). Und die Grossbasler Altstadt gehört den Typen 1 und 2 an.

Zwar weisen die Autoren den Typen 1, 2 und 3 nicht explizit City-Funktion zu, doch sind die Einpersonenhaushalte (Typ 1 und 2), der hohe Verdienst der Bevölkerung (Typ 1) und der Verweis auf den gewerblichen Charakter des Viertels (Typ 3) Indikatoren für City-Funktionen. Zudem zählen Grossbasel, das Untere und teilweise auch das Obere Kleinbasel zur Altstadt, die definitionsgemäß die Aufgaben der City übernimmt.

Auf der anderen Seite sind die Quartiere Bettingen, Riehen und Bruderholz, die die tiefsten Deliktsraten aufweisen, typische Wohnviertel. Sie werden demnach auch zu den Typen 4 und 5 gezählt.

Obwohl die Tatorte nur auf den Zahlen der versuchten und vollendeten Tötungsdelikten beruhen, scheint die Theorie der größten Tatortdichte am Beispiel Basels nachvollziehbar.

Eisner benutzt in seiner Untersuchung (Eisner, 1997: 135ff) neben weiteren Deliktsarten ebenfalls die Statistik der Tötungsdelikte (inkl. versuchte Tötungsdelikte) in der Stadt Basel im Zeitraum von 1983 bis 1991. In diesen neun Jahren ereigneten sich 52 versuchte und vollendete Tötungsdelikte, während in den sieben Jahren (gemäß obiger Statistik) 1992 bis 1998 96 Delikte dieser Art geschahen. Eisner wertete die kartographische Darstellung der Tötungsdelikte als »nur begrenzt aufschlussreich« (Eisner, 1993: 137), da sich die Fälle mehr oder weniger gleichmäßig über die ganze Stadt verteilten.

Ein anderes Bild zeichnet sich jedoch bei den Delikten Körperverletzungen und Tätlichkeiten sowie Raub und Entreissdiebstahl ab. Die Verteilung konzentriert sich hauptsächlich auf die Quartiere mit City-Funktionen, d.h. auf die Innenstadt.

4.d Gewaltprävention durch menschengerechte Planung

Die Stadt zeichnet sich gegenüber dem Dorf durch Vielfältigkeit aus (Glatt/Osswald, 1998: 33). Sie ermöglicht eine Vielfalt an Begegnungen, sozialer Interaktionen und Nutzungen. Feldtkeller beschreibt die traditionelle europäische Stadt als Organisation von »Wohnungen, Produktionsstätten, Kontoren, Gasthöfen, Kirchen, Klöster, Märkten«, die auf alle Stadtgebiete verteilt waren (Feldtkeller, 1995: 59). Damit entsteht Öffentlichkeit und das »Welttheater« Stadt, wie es der Architekt Aldo Rossi beschreibt (Glatt/Osswald, 1998: 34), das sich draussen abspielt und in das man jederzeit eintreten kann.

Der Bedeutung des öffentlichen Raumes werden Architektur und Stadtplanung jedoch häufig nicht gerecht. Oft steht der Öffentlichkeit nur noch die Restfläche zwischen den Bauten zur Verfügung, die unattraktiv ist, weil sie nicht als eigenständige Einheit geplant wurde. Gleiches bemängelt der Architekt Wienands (Wienands, 1985: 99) und fordert: »Stadt-Raum beginnt vor der Haustür: Straße als gefasster Stadtraum, als Begegnungsraum für Menschen« statt der »Straße als offener Restraum für Abstandsflächen, Autos usw.« Während er vor allem aus gestalterischer Sicht argumentiert, ist die Maxime des »Stadt-Raums« anstelle des »Stadt-Hauses« auch aus soziologischer Sicht wichtig.

Weiter benützt Feldtkeller den Ausdruck des »Mythos der Absonderung« (Feldtkeller, 1995: 51), der ein Teil unserer Lebenshaltung ist. Dieser Mythos verhindert die Identifikation (Verantwortung, Teil sein der informellen Kontrolle) und die Kommunikation (Gefühl des Anteil-Habens am Geschehen). Die Bauweise und die Gestaltung eines Quartiers können Identifikation und Kommunikation begünstigen oder erschweren.

Innerhalb der Chicago School entwickelte der Architekt Oscar Newman die Theorie des Defensible Space (Williams/McShane, 1999: 65). Danach müssen die Bewohnerinnen und Bewohner eines Hauses ihren Wohnbereich als »Territorium« verteidigen und somit »Funktionsträger ihrer eigenen Sicherheit« (Kube, 1982: 21) werden. Um dies zu erreichen muss eine gute Übersichtlichkeit über das zu »kontrollierende« Gebiet gewährleistet sein, wobei das »Territorium« in private, halbprivate, halböffentliche und öffentliche Bereiche eingeteilt wird. Bauliche Maßnahmen bilden dabei Barrieren. Dabei sind an Vorgärten, Innenhöfe aber auch kontaktfördernde Eingangsbereiche etc. zu denken. Zudem sollten dichte Bauweisen vermieden werden: »Häuser dürfen nicht mehr als 20 Wohneinheiten umfassen, was bedeuet, dass bei fünfgeschossiger Bauweise maximal vier Wohnungen an einen Korridor oder ein Treppenpodest angerenzen dürfen.« (Glatt/Osswald, 1998: 40)

Bis heute konnten bei der Theorie Newmans jedoch nur Korrelationen und keine Kausalität empirisch belegt werden. Trotzdem findet der Defensible Space-Ansatz breite Anwendung in der Praxis.
Zusammenfassend können soziale Strukturen folgendermassen beeinflusst werden:

5. Praktische Maßnahmen

Nach den theoretischen Teilen der Fragestellungen um das Thema »Städtebau und Kriminalität« folgen nun zuletzt Vorschläge für konkrete Maßnahmen um einerseits die sozialen Strukturen so zu beeinflussen, dass kriminelle Handlungen vermieden werden können, andererseits aber auch Maßnahmen, die der Bevölkerung das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Auch wenn gewisse Ängste der Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt vielleicht unbegründet sind (wie wir in den Kapiteln »Angsträume und Tatorte« sowie » Viktimisierungsperspektive« festgestellt haben), ist es wichtig, dass diese sich in ihrem Aktionsraum wohl und sicher fühlen. Nur somit kann ja auch die weiter oben geforderte Identifikation mit dem Raum enstehen.

Der Maßnahmenkatalog, der sich auch auf die Vorschläge von Anita Glatt und Bettine Osswald stützen (Glatt/Osswald, 1998: 53ff), unterteilt sich in die drei Bereiche »Stadtplanung«, »bauliche Maßnahmen« und »gestalterische Maßnahmen«.

5.a Stadtplanung

Auf stadtplanerischer Ebene sollten gemäss den Erkenntnissen in Kapitel 2.4 (Gewaltprävention durch menschengerechte Planung) folgende Ziele angestrebt werden:

5.b Bauliche Maßnahmen

Auch die baulichen Maßnahmen sollen vor allem typische Angsträume verhindern:

5.c Gestalterische Maßnahmen

Auf gestalterischer Ebene bieten sich folgende Vorschläge an:

Die Empfehlung, Vandalismus-Schäden schnell zu beseitigen, muss mit Vorsicht angewendet werden. Nie ist sich die Gemeinschaft darüber einig, was Vandalismus ist: Gehören Sprayereien dazu? Oder ist nur das Sprayen auf »wertvollen« Gebäuden ein Vandalenakt, das Verzieren der grauen Betonwände dagegen nicht? Und müsste diese Kunst der Jugendlichen nicht im Sinn der Empfehlung »Aneignung der öffentlichen Räume durch die Bevölkerung« nicht nur toleriert, sondern gar gefördert werden?

Nicht nur in diesem Fall bereiten Interessenkonflikte Probleme. Ähnlich schwierig ist es übersichtliche und romantische Begrünung, sowie übersichtliche, transparente und spannende, verwinkelte Architektur unter einen Hut zu bringen.


6. Fazit

Die Frage, ob Städtebau Kriminalität beeinflusst, muss mit Ja und Nein beantwortet werden. Nein, weil die Gestalt einer Stadt oder eines Quartieres nicht direkt kriminelle Handlungen hervorruft. Ja, da Architektur und Städtebau die Gemeinschaft beeinflussen kann und somit Strukturen schafft, die kriminelles Handeln begünstigen können. Es handelt sich also um einen indirekten Bezug, wobei eine breite Palette von Faktoren wie Status, demographische Zusammensetzung, Bildung etc. mitwirken.
Trotzdem ist es unumgänglich, dass sich Stadtregierung und private Investoren um einen Städtebau nach den Vorschlägen im vorigen Kapitel bemühen. Dies aus folgenden Gründen:

Eine Versachlichung der öffentlichen Diskussion um das Thema tut aber Not. Die Menschen müssen ermutigt werden, sich die Stadt anzueignen und nicht gewisse Orte oder Quartiere zu meiden. So kann einer Gettoisierung entgegen gewirkt und die informelle Kontrolle verstärkt werden.

Literaturverzeichnis

Boers, Klaus: Kriminalitätsfurcht. Ein Beitrag zum Verständnis eines sozialen Problems. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsnorm. 76. Jahrgang, Heft 2, April 1993.
BKA Bundeskriminalamt Deutschland (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1998. Wiesbaden, 1999. Auch abrufbar unter http://www.bka.de/pks/pks1998/ (gesehen am: 4. September 1999).
Eisner, Manuel: Alltägliche Gewalt in Schweizer Städten. Bern: Schweiz. Nationalfonds, 1993. Bericht des NFP »Stadt und Verkehr« 51.
Eisner, Manuel: Das Ende der zivilisierten Stadt? Die Auswirkungen von Modernisierung und urbaner Krise auf Gewaltdelinquenz. Frankfurt a. M./New York, 1997.
Feldtkeller, Andreas: Die zweckentfremdete Stadt. Wider die Zerstörung des öffentlichen Raumes. Frankfurt a. M./New York, 1995.
Giddens, Anthony: Sociology. Third Edition. Cambridge, 1998.
Glatt, Anita/Osswald, Bettina: Mehr Sicherheit im öffentlichen Raum. Was wir tun können, damit sich die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner sicherer fühlen. Baudepartement des Kantons Basel-Stadt (Hrsg.). Basel, 1998.
Herold, Horst: Begrüssung der Teilnehmer des Symposiums: Städtebau und Kriminalität, Leitung: Dr. Edwin Kube BKA. Wiesbaden, Bundeskriminalamt, 1979.
Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie. 4. Aufl. Stuttgart, 1994.
Kube, Edwin: Städtebau, Wohnhausarchitektur und Kriminalität. Prävention statt Reaktion. Heidelberg, 1982.
Rossi, Aldo: Wissenschaftliche Selbstbiographie. Bern, 1988.
Schneider-Sliwa, Rita et al.: Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsdynamik beider Basel. Basel, Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt (Reihe Stadt und Region, Heft 1), 1999.
Unterführungen haben in Basel wenig Zukunft. In: Basler Zeitung, Teil III, S. 25 vom 11. Mai 1999.
Wienands, Rudolf: Grundlagen der Gestaltung zu Bau und Stadtbau. Basel, Boston, Stuttgart, 1985.
Williams III, Frank P./McShane, Marilyn D.: Criminological Theory. Third Edition. New Jersey, 1999.

Andere Quellen:

Telefongespräch und E-Mail-Kontakt vom 7. 9. 1999 mit Herrn Andreas Haussener, Kriminalpolizeiliche Analysestelle, Kantonspolizei Basel-Stadt.